Bild nicht mehr verfügbar.

Studierende im US-Bundesstaat New Jersey. Bei dieser Abschlussfeier im Juli kamen sie auf dem Campus zusammen, unterrichtet wird derzeit aber hauptsächlich über Onlineplattformen.

Foto: AP / Seth Wenig

Zoom beherrscht meine Welt, und die Plattform Canvas hat enorme Macht über mich! Als Professorin an einer Universität in New Jersey unterrichte ich dieses Semester ausschließlich online – was hier "remote" heißt. Alle meine Vorlesungen und Seminare finden auf Canvas statt, drei davon haben "synchrone Elemente", das heißt, ich treffe die Studierenden wöchentlich in Zoom-Meetings. Diese Vorlesungen sind um einiges aufwendiger und komplizierter, als ich gedacht habe, doch ich will mich hier nicht über die Arbeit beschweren. Drei Dinge fallen aber besonders auf.

Erstens: Ich arbeite an einer "privaten Non-Profit-Universität", die, obwohl sie mit dem Motto der "Studentenzentriertheit" Werbung macht, sehr daran interessiert ist, auch in Zeiten der Pandemie so viel Profit wie möglich zu machen. Obwohl alle Vorlesungen online sind, hat die Uni meine Vorlesungen mit Studierenden überfüllt. In der Einführungsvorlesung "Understanding Politics" sind 32 Studierende inskribiert; in meiner Kernvorlesung "Global Politics" sind es 31; und in meiner Bachelorette-Honors-Programm-Vorlesung (BhP) "Modern European Ideologies", die mit 18 Studierenden limitiert ist, sind es immerhin 17.

Ärger am Bildschirm

Die Leute in diesen Vorlesungen kommen zweimal wöchentlich in den Genuss, mich live via Zoom-Meeting zu sehen. Selbst wenn ich da topvorbereitet und mit besten pädagogischen Vorsätzen hinkomme, bleibt von der "Studentenzentiertheit" nicht viel übrig. Die Klasse ist so voll, dass nicht alle Studierenden auf einen Zoom-Screen passen. Die Professorin verliert dabei, trotz konzentrierter Versuche und fanatischen Scrollens, häufig den Überblick. Oft sind nur einige wenige Köpfe sichtbar, die Mehrheit der Anwesenden hat die Kamera ausgeschaltet.

Zweitens: Dass die Kamera ein- und das Mikrofon ausgeschaltet sein muss, steht bei mir im Unterrichtsprogramm. Des Öfteren erinnere ich die Studierenden daran, dass ich sie nicht sehen kann, oder versuche die, die sich vermutlich auf der anderen Seite des schwarzen Screens befinden, in die Klassendiskussion einzubeziehen. Ich rufe sie dann beim Namen auf und frage nach ihrer Meinung. Zum Beispiel frage ich das schwarze Kasterl am Bildschirm: "Jatana*, besteht die Gefahr, dass sich die USA zu einer Diktatur entwickeln könnten? Was denken Sie?" Und dann warte ich. Manchmal sehr lange. Vereinzelt habe ich auch Glück, und die Studentin antwortet, aber öfter bleibt das Mikrofon abgedreht.

Als Kärntnerin kann ich da fuchsteufelswild werden, rege mich dann sehr über die scheinbare Abwesenheit der Studentin auf. Oft kommt dann eine Chatnachricht von genau der Studentin, die sich entschuldigt und erklärt, dass sie mir gerade nicht antworten könne, weil sie in der Arbeit sei, und während sie im Lebensmittelgeschäft an der Kasse sitze, könne sie leider nicht ins Mikrofon sprechen. Oft höre ich auch, dass die Internetverbindung so schlecht ist, dass entweder die Kamera oder das Mikrofon funktioniert, aber nicht beides zur selben Zeit. Und manchmal ist da auch wirklich niemand hinter der abgedrehten Kamera.

Es sind meist Studierende, die einer ethnischen Minderheit angehören, die entweder arbeiten oder ein Verbindungsproblem haben. In meiner BhP-Vorlesung, in der es keine offensichtlichen Minderheiten gibt, gibt es auch das Problem der abgeschalteten Kamera nicht. Gute Internetverbindung wie der Zugang zu höherer Bildung ist hier ganz klar ein Klassenprivileg.

Schiefe Bewertungen

Drittens ist die Beurteilerei in Zeiten der Pandemie jetzt ein totaler Witz. Da alles online passiert, werden auch die Prüfungen online abgehalten. Ich mache viele Multiple-Choice-Tests. Im Durchschnitt berechne ich, dass Studierende doppelt so lange wie ich brauchen, um eine Multiple-Choice-Frage zu beantworten. Das heißt, für den morgigen Test in der Einführungsvorlesung, der aus 25 Fragen besteht, haben sie 30 Minuten Zeit.

Da wir aber in prekären Zeiten leben, gibt das "Student Access and Support Service" vielen meiner Studierenden sogenannte "Accommodation Letters", die ihnen spezielle Bedingungen gewähren, wie zum Beispiel mehr Zeit während der Prüfungen als normalerweise. Jatana zum Beispiel hat 100 Prozent mehr Zeit für den Test. Sie hat daher morgen eine Stunde Zeit, um 25 Fragen zu beantworten. Innerhalb einer Stunde können auch Studierende, die mittelmäßig im Lesen sind, die Antworten auf 25 Multiple-Choice-Fragen in ihrem Textbuch finden. Viel ist da nicht mehr übrig von der akademischen Integrität.

Fragwürdige Prioritäten

Gestern Abend hat meine Universität plötzlich, ohne jegliche Vorankündigung, unsere alte Website durch eine neue ersetzt. Das hat uns alle sehr überrascht, auch weil da auf einmal der Tab für E-Mails verschwunden war und kein Mensch den Canvas-Tab finden konnte, also die Plattform, auf der sich unsere gesamten Unterrichtsmaterialien befinden! Die neue Website ist toll. Aber sie zeigt ganz klar, dass andere Dinge wie zum Beispiel Sport und soziale Netzwerke für die Uni-Leitung anscheinend viel wichtiger sind als die akademische Bildung. So, wieder ein Tag an der Universität ... (Barbara Franz aus Morristown, New Jersey, 2.11.2020)

* Name von der Redaktion geändert

Barbara Franz studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien und Politikwissenschaft und Geschichte in New York. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft an der Rider University in New Jersey und forscht unter anderem im Feld der Immigrations- und Flüchtlingspolitik. Franz ist Kärntnerin und Amerikanerin.
Foto: Privat

Mehr Beiträge:

Petra Stuiber: Der Optimismus meines alten Freundes in den USA: "Wir brauchen Ruhe und Sleepy Joe"

Barbara Franz aus Morristown: "Sag es nicht weiter, aber ich hab Trump nicht gewählt"

Teresa Eder aus Washington: Braver Angels, die letzten Verfechter der amerikanischen Einheit

Katja Ridderbusch aus Atlanta: Nach 28 Jahren könnte Georgia zum Swing State werden