Foto: New academic press

Alfred Ruhmann und die Kinder von Erba/Oberwart.

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Roma-Unterkünfte in Mattersburg: ein gemauertes Haus, eine "Putri" genannte Erdhütte und eine Lehmhütte.

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Junge Roma in St. Margarethen.

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Gerhard Baumgartner ist der wissenschaftliche Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands und renommierter Erforscher der Geschichte der Roma im Burgenland. Herbert Brettl ist der wohl eifrigste und akribischste Regionalhistoriker des Burgenlandes. Beide haben sich nun zusammengetan, um zu tun, was längst schon überfällig gewesen ist.

Sie haben die Geschichte der nach 1938 verschwundenen 120 Romasiedlungen des Landes zusammengetragen. Ort für Ort. Von A wie Hodasi/Althodis bis Zabara/Zuberbach. Herausgekommen ist ein reich bebildertes Standardwerk. Ein Prachtband, der gut in jede Ortsbücherei passte. Oder auch – noch dringlicher – in jede der 171 burgenländischen Gemeindestuben.

Erinnerungs-Schluder

Denn immer noch gilt die Angelegenheit da und dort als jenes heiße Eisen, das man besser nicht angreift. In manchen Gemeinden hat man vor lauter Nichtangreifen ja fast schon vergessen, wo die Roma gesiedelt haben. Die Alten sind gestorben, die Jungen haben nicht zugehört, die Heutigen können nur raten. Baumgartner/Brettl nehmen dem Erinnerungs-Schluder auch diese Ausrede.

Zu jedem Ort liefern sie einen genauen Lageplan. Auch zu Kemeten, wo jahrelang und erfolgreich Widerstand geleistet worden ist gegens Aufstellen eines Erinnerungsdenkmals. Dabei war Kemeten nahe Oberwart mit rund 200 Bewohnern eine der größten Siedlungen des Burgenlandes.

Kemeter Tragödie

Aus Kemata/Kemeten erzählen die Autoren auch die Geschichte der Familie Zartler. Josef Zartler hatte die Karoline Rosenfeld geheiratet, Romni aus dem benachbarten Ojhava/Markt Allhau. Gemeinsam hatten sie sieben Kinder.

Der älteste Sohn, Josef, wurde 1939 eingezogen, diente bei einer Einheit in Bremen, was ihn aber keineswegs "vor der rassistischen Verfolgung als 'Zigeuner'" bewahrte. 1941 wurde er verhaftet, kam ins burgenländische Lager Lackenbach, musste Zwangsarbeit verrichten, versuchte zu fliehen und wurde schließlich in Auschwitz-Birkenau ermordet. Dort kamen auch die Mutter und die sechs Geschwister um.

"Vater Josef", schreiben die Autoren, "musste machtlos die Verschleppung und Ermordung seiner gesamten Familie miterleben." Sein Bruder Johann – er war immerhin der Bürgermeister von Kemeten – hatte sich vergeblich um die Freilassung bemüht.

Seit 2017 ist Wolfgang Koller SPÖ-Bürgermeister von Kemeten. Nun, so wird versichert, wird das Denkmal bald aufgestellt werden.

Woiwode Sárközi

Dass die Burgenlandroma – 1938 wird ihre Anzahl auf rund 8.000 geschätzt – 1993 als autochthone Volksgruppe anerkannt wurden, war der Unermüdlichkeit und Tatkraft des 2016 verstorbenen Gründers des Kulturvereins österreichischer Roma, Rudolf Sarközi, zu verdanken. Aber auch einem seiner Vorfahren.

Graf Christof Batthyány hat schon 1674 dem "Woiwoden Martin Sárközi" einen Schutzbrief ausgestellt. Auf dass diesem und den Seinen "weder unterwegs noch an anderen Orten nirgends durch irgend welche beamteten Menschen Kränkung widerfährt". Niemand also solle sagen, die Roma wären unlängst erst gekommen.

Romabilder

Das Bild der burgenländischen Roma der Zwischenkriegszeit war stets geprägt auch vom polizeilichen Blick, niedergelegt in der "Zigeunerkartothek". Dort wurden schon in den 1920er-Jahren alle Roma über 14 Jahren erfasst und, sozusagen vorsorglich, mit Fahndungfotos ausgestattet. Wohlmeinendere Zeitgenossen gingen mit dem Fotoapparat auf die Suche nach dem Exotischen mitten im eigenen Land.

Baumgartner/Brettl haben zusätzliche Blicke aufgespürt. Vor allem die Sammlung des jüdischen Grazer Industriellen Alfred Ruhmann zeigt nicht bloß erwartbar vorgestanzte Typen und exotische Armut. Sondern – erstaunlich genug, dass sowas so auffällt – ganz normale Leute. Extrem verelendet. Aber auch extrem du-und-ich. (Wolfgang Weisgram, 18.11.2020)