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Rublew sorgte für den ersten russischen Triumph beim Tennisturnier in der Stadthalle. Er genoss den Aufenthalt, dankte dem Veranstalter und den Fans. Nun wird wieder Geistertennis praktiziert.

Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Wien – In einer normalen Welt wäre Herwig Straka am Freitagabend ziemlich angefressen gewesen. Als Veranstalter und Direktor der Erste Bank Open hätte er das Scheitern der Topstars Novak Djokovic, Dominic Thiem und Daniil Medwedew im Viertelfinale bejammert, ein neuer Zuschauerrekord in der Wiener Stadthalle wäre gehörig ins Wanken geraten. In einer verrückten, von Corona geprägten Welt, war das ziemlich wurscht. Es waren ohnedies nur 1000 maskierte Fans zugelassen. Die wären auch gekommen, stünden der Nachbar von Djokovic oder Thiems Vater im Finale. Tatsächlich waren es am Sonntag Andrej Rublew und Lorenzo Sonego aus Italien. Der 23-jährige Russe gewann 6:4, 6:4, holte seinen siebenten Titel, den fünften heuer. Der Weltranglisten-Achte gab keinen Satz ab, zelebrierte Tennis.

Die Dankbarkeit

Es war das beste Teilnehmerfeld in der Turniergeschichte, sechs aus den Top Ten. Straka: "Die Ergebnisse passten in die skurrile Zeit." Hätten die Open eine Woche später stattgefunden, sie wären wegen des neuerlichen Lockdowns Geistertennis gewesen. Was finanziell betrachtet den Schaden, "die tiefroten Zahlen", minimiert hätte. Man hätte sich den Sicherheitsapparat, das Hygienekonzept erspart. Der 54-jährige Straka ist trotzdem froh, "dass das Turnier stattgefunden hat. Ich würde es wieder tun. Die Leute hatten Freude, die Sponsoren waren dankbar, es ging auch um TV-Zeiten." Die globale ATP-Tour zollte Respekt. Wien war das Überbleibsel. Es konnte zumindest vor ein paar Zuschauern gespielt werden, es menschelte ein bisserl. Paris-Bercy und die ATP-Finals in London (ab 15. November) sind für die Geister.

Der Zynismus

In einer normalen Welt wäre der Weltranglistenerste Djokovic gar nicht gekommen. Er benötigte aber ein paar Punkte, um eine Saison zum sechsten Mal als Nummer eins zu beenden und den Rekord des Pete Sampras einzustellen. Im Vorfeld sagte er, wie toll Wien sei. Der 33-jährige Serbe drückte seine Dankbarkeit darüber aus, "dass man uns in so schwierigen Zeiten eine Bühne zur Verfügung stellt".

Das klägliche 2:6, 1:6 gegen Sonego war dann an Zynismus kaum zu überbieten gewesen. Es war übrigens ein weiterer Rekord, die höchste Karriere-Niederlage des 17-fachen Major-Siegers. Sie war ihm wurscht. Das Viertelfinale reichte, um mit Sampras gleichzuziehen. "Ich habe getan, was ich tun musste. Ich habe kein Problem", sagte er. Ab nach Belgrad und tschüss. Straka empfand diese Aussage als "sehr entbehrlich". Herr Djokovic lieferte einen weiteren Beleg, warum er nie die Sympathiewerte eines Rafael Nadal oder Roger Federer erreicht. Vermutlich ist ihm auch das wurscht.

Straka ist Manager von Thiem, Rublew ließ die Titelverteidigung nicht zu. Der erste Satz war vom Allerfeinsten, Thiem verlor ihn im Tiebreak 5:7. Der 27-jährige Niederösterreicher war danach gebrochen, psychisch wie physisch. Am rechten Fußballen bildete sich ein Art Blase, Physio Alex Stober diagnostizierte "keine typische Blase, sondern eher eine Gewebsprellung am Großzehen-Grundgelenk mit Knochenhautreizung." Es ehrte Thiem, dass er sich der Wehrlosigkeit hingegeben hat (2:6). Das Masters-1000 in Paris-Bercy muss er auslassen.

Corona hinterlässt bei den Protagonisten Spuren. Straka: "Das Leben von einer Blase in die nächste ist hart. Wir sind Teil der Entertainmentbranche. Die Spieler leben vom Applaus und den Emotionen. Und die gibt es nicht."

Straka malt ein düsteres Bild: "Zumindest bis Sommer wird es Turniere ohne Zuseher geben müssen. Das ist eine andere Qualität, das Niveau wird sinken. Die Preisgelder und Dotationen müssen drastisch reduziert werden." In Wien war das bereits der Fall, von 2,4 Millionen Euro auf 1,5. Thiem kassierte im Vorjahr 474.259 Euro, Rublew muss sich nun mit 105.240 begnügen. Wobei sich das Mitleid in Grenzen hält. 2021 wird es noch weniger Events geben. Straka: "Veranstalter müssen aufgeben, wirtschaftlich nicht stemmbar. Auch ich könnte unter diesen Voraussetzungen Wien nicht noch einmal durchziehen."

Die Existenzen

Die Zeit, über Startgelder zu diskutieren, sei jedenfalls abgelaufen. "Weniger Turniere haben gravierende Auswirkungen vor allem auf jene Spieler, die nicht den Top 100 angehören. Da geht es um Existenzen, um Arbeitsplätze." Rublew muss sich kaum Sorgen machen. Straka: "Er ist momentan der Beste in der Welt." In einer verrückten Welt. (Christian Hackl, 1.11.2020)