Will allen Menschen, die eine gewisse, noch zu verhandelnde Zeit in Östeerreich leben, ein Grundeinkommen zukommen lassen: Heide Schmidt.

Foto: Christian Fischer

Wien – Heide Schmidt, die frühere FPÖ-Politikerin und spätere Gründerin des Liberalen Forums, hat mit dem Buch Ich seh das so (Brandstätter-Verlag) ihre Positionen bestimmt, die sie ("Ich bekomme mehr Einladungen, als ich annehmen kann") nicht immer selbst auf Podien vertreten kann. Oder will – weil es sich mit manchen Leuten aus dem rechten Spektrum ("Sie kennen deren Kommunikationsverhalten") nicht zu argumentieren lohne. Den STANDARD traf sie im Café Gerstner im Palais Todesco, das die ehemalige ÖVP-Zentrale ist.

STANDARD: Haben Sie schon Ihren Mitgliedsantrag bei der SPÖ unterschrieben?

Schmidt: Was haben denn Sie für ein Schubladendenken?

STANDARD: In Ihrem neuen Buch vertreten Sie über weite Strecken Positionen der Sozialdemokratie. Es wäre spannend, jetzt Unterschiede herauszuarbeiten.

Schmidt: Das war nicht mein Zugang, das zu schreiben – daher wäre das jetzt ein neuer Denkaufwand. Meine Absicht war, über bestimmte Positionen, die für ein waches, ein wahrnehmungsfähiges Miteinander wichtig sind, zu schreiben. Und zu zeigen, wie wichtig es ist, die Auswirkungen auf alles andere zu bedenken, wenn man Spielregeln macht. Das gilt für die Politik wie für das eigene Leben. Da geht es mir nicht einmal darum, ein liberales Bekenntnis abzulegen, sondern darum, über Dinge zu reflektieren, die zunehmend unterbelichtet sind.

STANDARD: Das hängt damit zusammen, dass in der politischen Diskussion entweder um den heißen Brei herumgeredet wird – oder in anderen Punkten eine verschärfte, eine kriegerische Sprache angewendet wird?

Schmidt: Gewinnen oder verlieren – statt überzeugen. In den sozialen Medien, die ich nicht nutze, ist es diese Verkürzung der Sprache auf "Daumen hoch" und "Daumen runter". Ich habe versucht, politische Überlegungen und Alltagsüberlegungen zusammenzuführen. Das klingt so simpel, aber es wird vernachlässigt.

STANDARD: Sie werfen auch den Medien vor, zu wenige Zwischentöne zu verwenden. Wir sagen nicht mehr, jemand stehe kritisch zu Migration – da klingt "ausländerfeindlich" viel griffiger. Man unterstellt Feindschaft, wo jemand bloß Kritik übt ...

Schmidt: ... wobei wir beide wissen, dass die Grenzen fließend sind.

STANDARD: Aber diese Zuspitzung, die hat es in den 70er-Jahren, als Sie begonnen haben, sich mit Politik zu befassen, nicht gegeben?

Schmidt: Ich bin mir nicht ganz sicher – auch da hat es die TV-Konfrontationen, legendär Kreisky – Taus 1975, gegeben. Und es hat schon einen Grund, warum man das Duell nennt. Aber ich will mich mit politischen Mitbewerbern nicht duellieren, ich will, dass meine Argumente bei den Zusehern Fuß fassen und wenn ich Glück habe, auch bei meinem Gegenüber. Aber es hat sich leider alles immer mehr auf ein Match zugespitzt – wo die Zwischentöne auf der Strecke bleiben. Die Spaltung unserer Gesellschaft ist nicht nur eine ökonomische, nicht nur eine ideologische, sondern auch eine Spaltung durch Sprache. Aus dem baut sich ein für mich besorgniserregendes Gemisch auf – wenn da noch infolge der Corona-Pandemie Bedrohungen für die Existenz dazukommen, dann wird das immer gefährlicher. Da fühlen sich immer mehr Menschen von einer Teilhabe ausgeschlossen. Es ist eine Binsenweisheit, dass am Rand eine andere Befindlichkeit herrscht als wenn man sich in der Mitte der Gesellschaft einrichten konnte.

STANDARD: Deswegen werben Sie seit zwei Jahrzehnten für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Sie wollen also die Menschen "kaufen", um ihnen die Teilhabe schmackhaft zu machen?

Schmidt: Allein der Begriff "kaufen" stellt mir die Haare auf! Das ist unglaublich, dass eine solidarische Überzeugung als "kaufen" bezeichnet wird! Wer kauft da wen?

STANDARD: Die Mehrheit kauft die am gesellschaftlichen Rand in die Mitte zurück und erkauft sich damit sozialen Frieden? Man kauft die Leute in die Demokratie zurück ...

Schmidt: Wir gewinnen sie zurück – und zwar durch Vorleben von Solidarität. Das Grundeinkommen ist ein Vorleben eines solidarischen demokratischen Denkens. Wobei ich nicht sagen will, dass einer, der gegen ein Grundeinkommen ist, kein Demokrat wäre. Aber das als "kaufen" zu bezeichnen, finde ich unangebracht – genauso empörend finde ich, dass mein liberaler Kollege, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, das Grundeinkommen als "Stilllegungsprämie" bezeichnet hat. Das tut weh, das von einem Liberalen zu hören. Die augenblickliche Situation macht doch viel deutlicher, wie wichtig so ein Grundnetz wäre – und wie sich das nicht nur in der ökonomischen, sondern auch in der psychologischen Situation positiv auswirken würde.

STANDARD: Ist das denn so? Gerade in den nächsten Wochen könnten Arbeitgeber ohne große Gewissensbisse ihre Beschäftigten kündigen und darauf verweisen, dass sie durch ein Grundeinkommen ohnehin abgesichert wären.

Schmidt: Auf das soziale Netz könnte der Arbeitgeber heute schon verweisen und die Leute rausschmeißen. So etwas hat es immer schon gegeben – auf beiden Seiten: Leute, die sagen, dass ihnen die Sozialhilfe zum Leben reicht; auf der anderen Seite Arbeitgeber, die sagen, dass der eh stempeln gehen kann. Das Argument bestreite ich nicht, aber ich glaube, dass das Ausnahmen sind, die nicht ins Gewicht fallen. Weder hat der Unternehmer Interesse, seine Mitarbeiter fallen zu lassen. Noch wollen Arbeitnehmer auf das Niveau des Grundeinkommens zurückfallen, das ja nur Grundbedürfnisse, aber keine Lebensqualität sichert. Für etliche Leute wäre aber das Grundeinkommen gerade angesichts der Corona-Maßnahmen jenes Netz, das ein würdevolles Überleben sichert und auf das sie aufbauen können. Denken Sie an junge Menschen, die jetzt ins Berufsleben einsteigen wollen, aber nicht können.

STANDARD: Die gesellschaftliche und demokratische Teilhabe, die Sie für mehr Menschen ermöglichen wollen, gilt ihrer Meinung nach auch für Ausländer. Sie schreiben, dass sie Grundeinkommen und Wahlrecht eher an die Dauer des Aufenthalts in Österreich als an die Staatsbürgerschaft knüpfen würden. Sie bezeichnen in Ihrem Buch das Staatsbürgerschaftsrecht als "rückwärtsgewandt, integrationsfeindlich und nicht sachgerecht"?

Schmidt: Ich halte es für falsch, keine Doppelstaatsbürgerschaft zuzulassen. Wieso darf ein Mensch sich nicht zwei Heimaten verpflichtet fühlen? Mich stört dieses paternalistische Denken, dass man jemandem nach Überwinden vieler Hürden die Staatsbürgerschaft quasi als Auszeichnung verleiht. Es ist nicht fair, die ökonomische Situation mit dem Anrecht auf Staatsbürgerschaft zu verquicken – dass die also nur jemand bekommt, der ein gewisses Einkommen hat und für die Erlangung der Staatsbürgerschaft womöglich noch unangemessen hohe Gebühren zahlen muss. Das sind Hürden, die einem Staatsverständnis entsprechen, das ich für überholt halte.

STANDARD: Wer eine gewisse Zeit im Land ist, soll also die Staatsbürgerschaft bekommen, das Wahlrecht und einen Anspruch auf Grundeinkommen?

Schmidt: Ja – und das Wahlrecht würde ich nicht an die Staatsbürgerschaft knüpfen, sondern an die Betroffenheit. Die ist gegeben, wenn man eine gewisse Zeit in einem Land lebt. (Conrad Seidl, 2.11.2020)