Kann man diesen Lockdown befürworten, obwohl er von einer Regierung ausgeht, die mit dem Management der Corona-Krise sichtlich überfordert ist? Es ist eine Regierung, die es nach dem ersten Lockdown verschlafen hat, das Land für die erwartbare zweite Welle im Herbst zu rüsten. Die nun, erst nach Reisewarnungen für Österreich, reichlich spät reagiert – bei höheren Inzidenzen als Deutschland. Die das Konzept der Corona-Ampel, mit Ampelfarben auch automatisch Maßnahmen zu verknüpfen, bereits zerstört hat, bevor es wirksam werden konnte.

Nicht nur das Land, auch diese Regierung braucht jetzt ein Innehalten. Wochenlang hat sie die Bevölkerung maximal verunsichert.
Foto: Christian Fischer

Eine Regierung, die detaillierte Daten nicht transparent veröffentlicht, mit denen sich interessierte Bürger selbst ein Bild der Lage verschaffen könnten. Eine Regierung, die einzelne Länder, das Parlament und Sozialpartner erst dann einbindet, wenn im Grunde schon alles entschieden ist. Die bei Pressekonferenz-Shows mit harter Stimme das eine verkündet ("Besuchsverbot"), das andere verordnet, während zu befürchten ist, dass sich manche dieser Maßnahmen am Schluss wieder als verfassungswidrig herausstellen werden. Eine Regierung, die nun teils schwer nachvollziehbare Maßnahmen setzt, bei denen etwa Shoppingcenter geöffnet bleiben dürfen, Museen aber schließen müssen. Eine Regierung, die für das Land die so einschneidende Maßnahme eines Lockdowns verhängen will, dabei aber verabsäumt, ein klar nachvollziehbares Ziel zu definieren, wann genau dieser Lockdown denn erfolgreich gewesen sein wird.

Bei all diesen Fehlern und Versäumnissen der Regierung: Kann man diesen Lockdown überhaupt befürworten?

Trotz allem: ja. Weil uns nichts anderes übrigbleibt. Weil ein Lockdown das letzte Mittel ist, bevor die Situation völlig aus dem Ruder läuft, Intensivbetten fehlen und das Virus in besonders gefährdeten Gruppen Schlimmes anrichtet. Weil Prognosen zufolge die schon jetzt hohen Infektionszahlen noch tagelang weiter steigen könnten, bevor die ersten Effekte des Lockdowns zu spüren sein werden.

Aber nicht nur das Land, auch diese Regierung braucht jetzt ein Innehalten. Wochenlang hat sie die Bevölkerung maximal verunsichert. Statt in der Krise mit klarer Kommunikation zu führen, haben die Regierungsspitzen einander widersprochen, von Maßnahmen "in der Schublade" geraunt, dann etwas verordnet, um es kurz darauf wieder zu ändern. Statt nach Evidenzen wurde offenbar teils nach Ideologie und den Wünschen von Lobbygruppen entschieden, wurden sinnvolle Anregungen des Parlaments ignoriert, wurde mit Corona Wahlkampf gemacht.

Als Resultat hat die Regierung Vertrauen in der Bevölkerung verloren. Aber dieser Lockdown ist nur erfolgreich, wenn alle Menschen trotzdem mitmachen, also ihre sozialen Kontakte reduzieren – unabhängig davon, ob nun jede Eventualität des Alltags in einer Verordnung geregelt ist. Gewiss gibt es genug Umgehungsmöglichkeiten; das Recht kann (und soll) auch gar nicht jedes Detail unseres Lebens regeln. Die Hoffnung ist, dass nicht allzu viele diese Schlupflöcher nutzen; dass viele auf ihren Hausverstand setzen und im Sinne der Gemeinschaft handeln.

Und der Lockdown ist erfolgreich, wenn diese Regierung die nächsten Wochen zur Einkehr, zur Reflexion ihres Handelns und zu einem Umdenken nutzt – damit uns ein dritter Lockdown oder noch Schlimmeres erspart bleibt. (Martin Kotynek, 2.11.2020)