Bis zu 1.450 Euro kann ein Verstoß gegen die neuen Maßnahmen kosten.

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Juristen zweifeln Teile des neuerlichen Lockdowns an und erwarten zahlreiche Verfahren vor den obersten Gerichten, noch bevor die neuen Maßnahmen überhaupt in Kraft treten. Der Präsident der Österreichischen Rechtsanwaltskammer (ÖRAK) fordert gar von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) einen Erlass, der die Exekutive anhält, milde zu strafen.

ÖRAK-Präsident Rupert Wolff sagt, die Regierung sei diesmal zwar bemüht gewesen, mehr und besser zu differenzieren als beim ersten Lockdown. Er sieht aber großen Interpretationsspielraum und ein Problem darin, dass vieles in der Verordnung "sehr schwammig" ausgedrückt sei. Dies sei vor allem bei den Ausnahmen von der Ausgangsbeschränkung der Fall, in denen es beispielsweise um familiäre Rechte und Pflichten gehe. Die Frage sei, was eine "Familie" sei – und ob etwa gleichgeschlechtliche Partner, die nicht zusammenleben dazu gehörten.

Laut Wolffs Interpretation sei zwischen 20 und 6 Uhr Früh eine intime Beziehung mit einer "Zufallserstbekanntschaft" nicht erlaubt, das sei schon gravierend. Was die Ausnahme von Garagen (private Feiern sind dort verboten) betrifft, verweist er auf Judikatur des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wonach Garagen zum privaten Wohnbereich gehörten. Zudem meint der Rechtsanwalt, private Feiern auf Terrasse seien (mangels Erwähnung in den Ausnahmebestimmungen) erlaubt.

Erlass des Innenministeriums gefordert

Das Ausgehverbot im Zusammenspiel mit dem Zuhause-Bleib-Gebot könnte seiner Rechtsansicht nach dazu führen dass ab 20.01 die Polizei klingelt und sich der Bürger frei beweisen müsste – wenn er nicht zu Hause ist. Was er bei den Ausnahmen von der Abstandsregelung nicht verstehe: Jenen punkt, in dem geregelt ist, dass die Abstandsregelung unter Wasser nicht gelte. "Da muss man sich fast an den Kopf greifen", so Wolff.

Wolff hofft auf klare Erlässe des Innenministeriums für die Exekutive, wonach diese angehalten werde, nicht strafend mit den Vorschriften umzugehen, sondern sehr sorgfältig. "Die Leute würden Strafen nicht verstehen und dann bekommen wir Zustände wie in Italien", mahnt er. Derzeit gilt ein Verstoß gegen die neuen Regeln als Verwaltungsübertretung, damit liegt die Höchststrafe bei 1450 Euro. Im Laufe der Pandemie ging die Exekutive dazu über, stattdessen Organstrafmandate auszustellen. Bei denen ist die Strafhöhe zwar geringer, sie können jedoch nicht eingeklagt werden.

Juristen erwarten Verordnungsflut

Wolff reiht sich mit seiner Kritik in eine recht lange Liste von Juristen ein, die Mängel in der neuen Verordnung sehen. So bezeichnete etwa der Wiener Anwalt Florian Horn die Verordnung gegenüber der APA als "teils rechtswidrig". Die Ausgangsbeschränkungen zwischen 20.00 und 6.00 Uhr seien "äußerst unbestimmt, weil die Ausnahmen so weitgehend sind, dass sie das Verbot überhaupt aufzuheben scheinen".

In der Verordnung gibt es außerdem einen gravierenden Unterschied zu jener vom Frühling. Damals wurde das Betreten des öffentlichen Raums geregelt, nun das Verlassen des privaten Wohnorts. Somit gibt es zwar erstmals Regeln für den privaten Bereich, der kann aber laut Covid-19-Maßnahmengesetz immer noch nicht kontrolliert werden. Für Horn ist dies "rechtswidrig", denn auf diese Regelung könnte jemand versuchen, "eine polizeiliche Nachschau zu stützen". Eine solche Nachschau wäre "verfassungswidrig, weil unverhältnismäßig". Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) betonte bei der Präsentation der neuen Maßnahmen, den Privatraum nicht kontrollieren zu wollen.

"Wir erfahren gerade Grundrechtsbeschränkungen, wie wir sie bisher noch nicht erfahren haben", resümiert Verfassungsjurist Peter Bußjäger, auch er kritisierte zahlreiche Unklarheiten. Deswegen sei klar, dass viele der Strafen bekämpft werden. "Es werden sich immer mehr neue Konstellationen auftun, die wir so noch nicht berücksichtigt haben, daher wird eine ganze Flut von Verfahren zu erwarten sein", sagt der Jurist. Das sei nicht zwingend die Schuld der Regierung: "Wenn man die Freiheit der Menschen beschränkt, dann wehren sie sich eben dagegen". (gra, elas, 1.11.2020)