Wien im März 2020. Ob es wieder so ruhig wird, bleibt abzuwarten.

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Einen Monat hat es gedauert, bis das Land nach dem ersten Lockdown stückweise wieder aufgemacht hat. Und siebeneinhalb Monate hat es gedauert, bis der zweite Lockdown kam. Wie geht es nun weiter? Wann ist mit Lockerungen oder gar mit Verschärfungen zu rechnen? Was sind die Meilensteine, die es nun zu erreichen gilt?

In den letzten zwei Wochen nannte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wiederholt 6000 Neuinfektionen täglich als Grenze, ab der die Intensivstationen überlastet werden würden. Am Sonntag, an dem traditionellerweise die Werte recht niedrig sind, war Österreich bei 4956. Und weil die Maßnahmen dem virologischen Geschehen stets hinterherlaufen, wird die Zahl erst weiterhin steigen, bevor sie sinkt.

Mehr Aussagekraft hat außerdem die Zahl der belegten Intensivbetten. Momentan ist man auch da mit 298 Fällen auf einem Höchststand – in Dornbirn meldete das Stadtspital am Sonntag die Vollauslastung, die Landeskrankenhäuser werden aushelfen. Mitte März waren es zehn Fälle, rund um die ersten Lockerungen im April waren es 243.

Schwer vorherzusehen, wie die Maßnahmen greifen

Ein Modell zu erarbeiten, das die Auswirkungen des Lockdowns prognostiziert, sei aber schwierig, sagt Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich, der morgen, Montag, Teil der Pressekonferenz der Regierung sein wird: "Wir haben zwar Modelle dazu, wie sich Infektionen ausbreiten, aber können kaum vorhersagen, in welchem Ausmaß die neuen Maßnahmen dämpfend auf die Kontakte wirken, und die verursachen nun einmal die Infektionen."

Dennoch sei "die Situation nicht völlig ausweglos", sagt Ostermann. Beim ersten Lockdown habe man die Zahlen "effektiv drücken können". Gelinge das nicht, fahre man aber "ungebremst in die Systemgrenzen hinein".

Maßnahmen "werden wirken"

Der Simulationsforscher Niki Popper geht davon aus, dass die neuen Maßnahmen jedenfalls wirken werden: Bei den positiv Getesteten ab dem Wochenende, auf den Intensivstationen nach einem Peak Mitte November, "denn es ist ja leider so, dass die Menschen, die in zwei Wochen auf Intensivstationen kommen, jetzt schon infiziert sind, es aber noch nicht wissen", so der Wissenschafter, dessen Forschungsgruppe Teil des Covid-19-Prognose-Konsortiums ist.

Dass die neuen Einschränkungen wirken werden, gilt als sicher, wenn die Menschen sich trotz der neuerlichen Herausforderung beteiligen. Dann kann die Zeitspanne bis 30. November reichen. Wichtig sei aber auch, "wie wir danach weitertun", so Popper zum STANDARD. Das müsse man jetzt überlegen, so schwierig die aktuelle Situation für uns alle sei. Dringend sei eine gute Strategie für das Tracen und Testen. Ersteres dürfte in weiten Teilen des Landes wegen der enormen Herausforderung für die Tracing-Teams an die Grenzen gestoßen sein. Dies hat laut Modellrechnungen die schnelle Erhöhung der letzten Tage unterstützt. Für eine wirksame Eindämmung müsse man "am besten innerhalb der ersten zwei Tage Contact-Tracing betreiben", so Popper.

Pläne nach dem Lockdown

Auch wenn das im Moment niemand hören wolle, müsse jetzt dafür gesorgt werden, dass man "nach dem Lockdown aufseiten der Behörden Ressourcen, um Contact-Tracing-Teams zu unterstützen, und konkrete Pläne für ein weiteres Kontaktmanagement hat". Weiters müsse man sich die Frage stellen, welche Strategie man nach dem Lockdown verfolge: "Wie weit wollen wir mit den Zahlen herunterkommen? Wichtig wäre es, bei den Zuwächsen der positiv Getesteten zumindest dreistellig zu werden, wo bei gelte: "So niedrig wie möglich!"

"Das Ziel muss sein, dass wir weiterlernen und dann durch milde Kontaktreduktion und ausreichendes schnelles Tracing, also Infizierte früh genug zu isolieren, keinen weiteren Lockdown brauchen. Das haben wir in den letzten Wochen auch gehofft, weiterhin muss ein solches System unser Ziel bleiben", betont Popper. Die Forschungscommunity brauche dafür ausreichend Daten. Wie Maßnahmen wirken, könne man immer nur in der Rückschau analysieren und in Prognosen einfließen lassen. Bei der Mobilitätsreduktion sehe man die Wirkung recht gut, andere Maßnahmen und deren Wirkung auf Kontaktreduktion und Übertragungswahrscheinlichkeiten könne man aufgrund der Datenlage nicht so gut einschätzen. "Das ist es aber, was die Menschen interessiert", weiß Popper. Um Maßnahmen zu evaluieren, brauche es mehr Daten.

Bis zu 13.750 Neuinfizierte

Der Mathematiker und Statistiker der Uni Wien, Erich Neuwirth, hatte den starken Anstieg der letzten Tage schon im September prognostiziert. Überrascht habe ihn aber, dass die Regierung nicht früher reagiert habe. Für die nächsten Wochen errechnete der emeritierte Professor einen weiteren Anstieg der Neuinfektionen auf 13.750 täglich, danach sollte es wieder bergab gehen. Den Peak auf den Intensivstationen sieht Neuwirth wie Popper Mitte November. Geht man von den bisherigen Zuwachsraten und dem Prozentsatz der Hospitalisierten unter den Infizierten aus, sollten 5500 Menschen mit Covid-19 in Spitälern liegen, davon 825 auf Intensivstationen. 82 Patienten werden täglich sterben. "Das alles sind aber keine Prognosen, sondern Abschätzungen aufgrund der bisherigen Daten", betont Neuwirth. (Gabriele Scherndl, Colette M. Schmidt, 1.11.2020)