Innenminister Nehammer schiebt Ex-Innenminister Herbert Kickl Verantwortung für die Situation des Verfassungsschutzes zu.

Foto: APA/Jaeger

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ist vor dem Terroranschlag in Wien offenbar einiges schiefgelaufen. Der Verfassungsschutz wurde von den slowakischen Behörden bereits im Juli über den versuchten Munitionskauf eines Verdächtigen informiert. Dieser wurde nach einigen Wochen als jener Mann identifiziert, der am Montag in Wien einen Anschlag verübte. Das beim Innenministerium angesiedelte BVT wusste, dass der Mann wegen Beteiligung an einer Terrorismusvereinigung vorbestraft und nur auf Bewährung auf freiem Fuß war. Dennoch wurden die Tatvorbereitungen des 20-Jährigen nicht unterbunden. Wie dieses Behördenversagen passieren konnte, soll nun eine unabhängige Untersuchungskommission klären, kündigte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Mittwoch an.

Zerstörung und Unsicherheit

Ohne deren Ergebnisse abzuwarten, hat der Innenminister allerdings schon einen Schuldigen parat – seinen blauen Vor-Vor-Vorgänger Herbert Kickl, der das Innenressort von Ende 2017 bis Mai 2019 (mehr als ein Jahr vor dem slowakischen Schreiben) leitete. Unter Kickls Ägide sei das BVT "nachhaltig geschädigt, um nicht zu sagen zerstört worden", polterte Nehammer am Mittwoch. Kickl sei verantwortlich dafür, dass ausländische Partnerdienste das Vertrauen verloren haben, und er habe damit eine "unsichere Situation in Österreich ausgelöst". Nehammer bezog sich auf Kickls Rolle bei der skandalumwitterten Razzia beim BVT im Februar 2018 und den internationalen Reputationsverlust des Verfassungsschutzes infolge der Hausdurchsuchung.

Doch was sagte Nehammer eigentlich damals, 2018, zur Causa BVT? Die türkis-blaue Regierung war neu, Sebastian Kurz hatte die FPÖ in die Koalition geholt und ihr trotz Kritik das Innenministerium überlassen. Nehammer war Abgeordneter und frischgebackener ÖVP-Generalsekretär. Drei Wochen nach der Razzia fand eine Sondersitzung des Nationalrats zum BVT samt heftiger Oppositionskritik an Innenminister Kickl statt. Nehammer trat auch ans Rednerpult, allerdings um Kickl den Rücken zu stärken: Alles sei rechtsstaatlich abgelaufen, die Razzia ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Foto: Parlamentsprotokoll 19.3. 2018

Verteidigung und Applaus

Als Innenminister Kickl dann im Mai 2018 einen großen Umbau des BVT ankündigte, stieß das in der ÖVP vereinzelt durchaus auf Bedenken, so etwa beim damaligen Sicherheitssprecher Werner Amon, einem Vertreter des schwarzen Parteiflügels. Der türkise Generalsekretär Nehammer schrieb dagegen eine Presseaussendung, in der er Kickl gegenüber Amon in Schutz nahm: "Das Vorgehen von Innenminister Herbert Kickl war selbstverständlich mit der neuen Volkspartei abgestimmt und akkordiert."

Die Wogen rund um die BVT-Affäre sollten sich 2018 weiter hochschaukeln, ein Untersuchungsausschuss wurde eingesetzt, die Rufe nach Kickls Rücktritt wurden lauter. Im September duellierten sich Opposition und Regierung in einer Sondersitzung erneut auf der Bühne des Parlaments. Die Opposition ortete in Kickl den "Drahtzieher" der Hausdurchsuchung. Als die FPÖ-Abgeordnete Petra Steger Kickls Rolle in der BVT-Causa verteidigte, kam vom heutigen Innenminister Applaus, wie das stenografische Protokoll zeigt. "Beifall bei der FPÖ sowie des Abgeordneten Nehammer", ist dort zu lesen.

Foto: Parlamentsprotokoll Screenshot

Einige Minuten später meldete sich der damalige ÖVP-Generalsekretär mit einem Rundumschlag selbst zu Wort. Er warf der Opposition Unehrlichkeit bei deren Vorwürfen vor. Die SPÖ solle nicht von einer Verfassungskrise in Österreich reden, sondern sich lieber von den sozialistischen Genossen in Rumänien distanzieren, die Neos mögen den tschechischen Ministerpräsidenten Babiš zurechtweisen. Über eine angebliche Zerstörung des BVT durch Innenminister Kickl berichtete Nehammer der Öffentlichkeit nichts. Seine Sichtweise sollte sich offenbar erst mit dem Bruch der türkis-blauen Regierung nach Ibiza ändern. (Theo Anders, 5.11.2020)