Lewis Hamilton und Toto Wolff: "Lewis und ich, wir sind noch nicht fertig. Ich habe das Gefühl, dass wir die Nadel noch ein bisschen weiter bewegen können."

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Imola – Eigentlich ging es gar nicht um ihn. Inwiefern es ihn beschäftige, dass Toto Wolff womöglich "das Ende seiner Haltbarkeit" als Mercedes-Motorsportchef erreicht habe, wurde Lewis Hamilton gefragt. Doch nach der Antwort des bald siebenmaligen Formel-1-Weltmeisters sprach niemand mehr über den Erfolgsmacher der Silberpfeile.

"Ich weiß nicht mal, ob ich nächstes Jahr hier bin. Dafür gibt es keine Garantie", sagte Hamilton nach dem historischen Triumph von Imola – und versetzte die Motorsportwelt damit in helle Aufregung.

Dass der Rekordsieger der Formel 1 es mit seiner Vertragsverlängerung nicht eilig hat, war lange nur eine Fußnote in der öffentlichen Wahrnehmung. Hamilton beteuerte erst in Imola, mit "diesem großartigen Team" weitermachen zu wollen, auch wenn es "definitiv nicht mehr lange dauern" werde, bis er aufhöre. Doch dass er damit den 13. Dezember und das Saisonfinale in Abu Dhabi meinen könnte, schien undenkbar.

Große Chance

Hamilton stehen schließlich alle Möglichkeiten offen, weiterhin Rekorde zu schlucken, "als wären sie Popcorn", wie der Corriere dello Sport am Montag schrieb. Sein Mercedes-Team führte der 35-Jährige am Sonntag zum siebten Konstrukteurstitel in Serie (Rekord), er selbst ist nun 93-maliger Grand-Prix-Sieger (Rekord) und hat angesichts eines stabilen Reglements allerbeste Chancen, sich 2021 zum alleinigen Rekordweltmeister zu krönen.

Titel Nummer sieben – und damit die Egalisierung der Bestmarke Michael Schumachers – ist "Lewis Hamilton 007" (Mundo Deportivo) seit Sonntag praktisch nicht mehr zu nehmen. 85 WM-Punkte beträgt sein Vorsprung auf Teamkollege Valtteri Bottas, 104 Zähler sind maximal noch zu gewinnen. Hamiltons Krönung am 15. November beim Großen Preis der Türkei ist ziemlich wahrscheinlich.

Nicht nur Rennfahrer

Doch Hamilton hat sich womöglich müde gesiegt. Das Rennfahren ist sein Leben. Es hat dem Außenseiter den Aufstieg zu einem der bekanntesten und bestbezahlten Sportler der Welt ermöglicht. Hamilton ist unbestritten der beste Formel-1-Fahrer seiner Zeit, vielleicht sogar der Geschichte.

Dies gelang ihm, obwohl er längst andere Felder für sich erschlossen hat, darunter seine Modelinie. Auch gesellschaftliche Themen beschäftigen Hamilton, den einzigen schwarzen Stammpiloten in 70 Jahren Formel 1. Nicht von ungefähr sagte er am Sonntag: "Es gibt vieles, was mich am Leben danach reizt", ihm gingen "viele Dinge" durch den Kopf.

Cleverer Geschäftsmann

Nun ist Lewis Hamilton ein emotionaler Mensch, der nach Triumphen oft redselig wird und der Welt Einblick in seine Seele gewährt. Der Brite ist aber auch ein cleverer Geschäftsmann, der in Krisenzeiten um einen neuen Vertrag pokert.

Hamilton ist die Personifizierung der rauschhaften letzten sieben Jahre mit exakt 100 Mercedes-Siegen in nur 134 Rennen, 71 davon hat er selbst beigesteuert. Er ist auch das Zugpferd der Formel 1, die sich inmitten der Klimaschutzbewegung im permanenten Rechtfertigungsmodus befindet.

Vertragspoker

Laut der Daily Mail feilscht Hamilton mit Mercedes um umgerechnet 133 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre. Und die Zeit spielt für ihn: Erst wenn auch der Fahrertitel in trockenen Tüchern ist, sollen die Gespräche konkret werden, bestätigte Wolff am Rande des Imola-Wochenendes.

Druckmittel hat Mercedes nicht. Max Verstappen, der wohl einzig würdige Nachfolger, ist bei Red Bull gebunden. Schnell verfügbar wären nur die eigenen Nachwuchsfahrer George Russell und Esteban Ocon.

Wolff ("Ich fühle mich nach dem ersten Lockdown stark verjüngt") wird dem Team wohl in führender Rolle erhalten bleiben, er dürfte ab 2021 aber seine Nachfolge vorbereiten.

Angesprochen auf die Hamilton-Aussagen wollte der Österreicher zwar nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass sein Top-Star 2021 noch an Bord ist. Pessimistisch klang er allerdings auch nicht, als er sagte: "Lewis und ich, wir sind noch nicht fertig. Ich habe das Gefühl, dass wir die Nadel noch ein bisschen weiter bewegen können." (sid, 2.11.2020)