Im Gastkommentar widmet sich Minxin Pei, Professor für Politikwissenschaft am Claremont McKenna College, der Frage, was diese Präsidentschaftswahl für die chinesisch-amerikanischen Beziehungen bedeutet.

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"Wenn Biden gewinnt, gewinnt China", sagte Trump jüngst bei einer Wahlkampfveranstaltung. Ohne Belege erhebt er Korruptionsvorwürfe, indem er behauptet, die Biden-Familie habe Millionen Dollar von China bekommen.
Foto: Reuters / Jonathan Ernst

Zumindest für China ist US-Präsident Donald Trump ein Geschenk, das dem Land immer mehr in die Hände spielt. Trumps verheerende Reaktion auf die Covid-19-Pandemie lässt die chinesische Regierung, die den ersten Ausbruch im Jänner falsch gehandhabt hat, wie ein Musterbeispiel für effektive Verwaltung wirken. Darüber hinaus hat Trumps "America first"-Außenpolitik die traditionellen US-Verbündeten entfremdet, was es erschwert, eine breite Koalition gegen China zu bilden.

Elektorale Kernschmelze

Sicherlich hat Trump Präsident Xi Jinping ein paar schmerzhafte Schläge versetzt: Seine Handels- und Technologiekriege zerstören die sino-amerikanischen Geschäftsbeziehungen, und dass die US-Regierung Taiwan unterstützt, hat die chinesischen Politiker wütend gemacht. Aber Trump scheint ein weiteres Geschenk für Xi zu haben: eine elektorale Kernschmelze.

Vor der Präsidentschaftswahl hat sich Trump wiederholt geweigert, eindeutig zu versprechen, ihr Ergebnis zu akzeptieren. Er hat die Macht seines Amtes für den Versuch missbraucht, die Briefwahl zu delegitimieren. Und er hat sogar angedeutet, das Oberste Gericht der USA könne eingreifen und ihm eine zweite Amtszeit sichern.

Ein Albtraumszenario

Die Umfragen deuten auf einen klaren Sieg für Trumps demokratischen Herausforderer, den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden, hin. Aber das Rennen um die Präsidentschaft wird vermutlich noch enger werden, und das Ergebnis in den umkämpften Bundesstaaten könnte zu knapp sein, um bereits in der Wahlnacht festzustehen – sogar wenn Trump insgesamt weniger Stimmen bekommt als Biden. Dies wiederum könnte Trump – und der Republikanischen Partei – die Möglichkeit geben, ihre vielen Machthebel dazu zu nutzen, am Weißen Haus festzuhalten.

Für einen Kampf um das Wahlergebnis gibt es mehrere Szenarien, aber jedes von ihnen wäre ein Albtraum und würde die US-Demokratie irreparabel beschädigen – zur Freude der Kommunistischen Partei Chinas (KPC). Ideologisch betrachtet wäre eine elektorale Kernschmelze in den USA mit ihren bitteren politischen Kämpfen und endlosen Gerichtsprozessen für die KPC ein erheblicher Propagandasieg. Die chinesischen Politiker würden das politische Chaos in den USA als Symptom des endgültigen amerikanischen Niedergangs deuten. Aufgrund von Trumps inkompetentem Umgang mit der Pandemie wird Amerika bereits in aller Welt bemitleidet. Macht er nun auch noch seine Drohung wahr, den Willen der US-Wähler zu missachten, könnte die Anziehungskraft, den die amerikanische Demokratie auf die Bürger von Diktaturen wie China ausübt, erheblich leiden. Und sollten am 3. November schwerbewaffnete rechtsextreme Milizen in den USA die Wähler bedrohen und tödliche Zusammenstöße verursachen, würden die chinesischen Staatsmedien solche apokalyptischen Szenen freudig in alle Haushalte ihres Landes übertragen.

Archaische Wahlregeln

Noch mehr könnte China profitieren, wenn Trump aus einer umstrittenen Wahl als Sieger hervorgeht. Dies ist angesichts der archaischen und komplexen Wahlregeln und der möglicherweise entscheidenden Rolle des Obersten Gerichts gar nicht so unwahrscheinlich.

Obwohl eine zweite Trump-Regierung die militärischen und technologischen Fesseln um China weiter anziehen würde, wäre sie für Xis Regierung trotzdem ein Segen: Zunächst einmal würde eine Mehrheit der Amerikaner Trump, wenn er – wie jetzt sicher zu sein scheint – die Mehrzahl der Stimmen gegen sich hat, als unrechtmäßigen Präsidenten betrachten. Und schlimmer noch: Wenn er seine zweite Amtszeit durch massive Behinderung der Wähler, dubiose politische Manöver der republikanisch kontrollierten Gerichte in umstrittenen Staaten wie Pennsylvania, Wisconsin oder Florida, parteipolitisch motivierte Entscheidungen der von ihm ernannten Richter oder den offenen Missbrauch seiner Exekutivmacht erlangt, könnte er das Land in einen politischen Bürgerkrieg stürzen.

Neuer kalter Krieg

Obwohl sowohl die Demokraten als auch die Republikaner China als Amerikas größte Bedrohung betrachten, fragt man sich, wie die USA einen neuen kalten Krieg gegen China führen wollen, wenn sie sich selbst in einem politischen Bürgerkrieg befinden und von einem obersten Befehlshaber regiert werden, den über die Hälfte der Wählerschaft für unrechtmäßig hält. Zumindest würde die weitere Intensivierung der parteipolitischen Polarisierung verhindern, dass Amerika durch Investitionen in Gesundheit, Ausbildung, Forschung, saubere Energien und Infrastruktur seine Stärke im Inland zurückgewinnt – die das Land dringend braucht, um seinen Wettbewerbsvorteil gegenüber China beizubehalten.

International betrachtet würde eine undemokratisch erreichte zweite Amtszeit Trumps die Kluft zwischen den USA und ihren traditionell liberaldemokratischen Verbündeten weiter vertiefen. Fährt Trump mit seiner "America first"-Politik fort, hätten es die USA schwer, eine breite Koalition gegen China zu bilden. Da die amerikanische Demokratie in einer zweiten Amtszeit Trumps wahrscheinlich weiter abgebaut würde, könnten es die US-Diplomaten schwierig finden, andere westliche Staatsführer dazu zu bewegen, Amerikas autokratischem starkem Mann bei seinem ideologischen Kreuzzug gegen Chinas autokratischen starken Mann zu folgen.

Allgemein wird angenommen, die chinesische Führung würde von einem Sieg Bidens profitieren. Obwohl China dann mit einem stärker vereinigten Westen konfrontiert wäre, wäre eine Biden-Regierung berechenbarer und offener für eine weltweite klima- und gesundheitspolitische Zusammenarbeit. Aber die Aussicht auf ein Amerika, das im Inland durch eine politische Vertrauenskrise gelähmt und im Ausland von seinen Verbündeten entfremdet wäre, könnte der KPC sogar noch mehr gefallen. (Minxin Pei, Übersetzung: Harald Eckhoff, Copyright: Project Syndicate, 3.11.2020)