Dass Kultur für viele Menschen ein Lebensmittel ist, kann sich der Kanzler offenbar nicht vorstellen, ärgert sich der Schriftsteller Ludwig Laher im Gastkommentar.

Im Ö1-Morgenjournal hätte Bundeskanzler Sebastian Kurz erklären sollen, warum Kirchen und Moscheen im Corona-Lockdown offen bleiben, Kulturveranstaltungen aber abgesagt werden müssen. "Der Bereich der Religion ist ein besonders heikler", fiel ihm dazu ein, weswegen die Regierung lieber die Finger davon lässt, obwohl es bisher sehr wohl Religionscluster, aber keine Kulturcluster gab. In seiner schwafelnden Rhetorik listete er viele Bereiche auf, deren Anhänger sich jetzt gegen die Verschärfungen aussprächen, was er natürlich verstehe, und formulierte wörtlich: "Kulturverliebte kritisieren die Schließung der Kulturstätten."

Wunderbare Narretei?

Verliebtheit ist, wie wir hoffentlich alle erfahren haben, eine wunderbare Narretei, ein hormoneller Ausnahmezustand, von anderen gern belächelt und vor allem von begrenzter Dauer. Wer von "Kulturverliebten" spricht, drückt ohne Zweifel eine abschätzige Haltung aus. Man stelle sich nur vor, Kurz hätte in Zusammenhang mit Religion von "Gottverliebten" gesprochen.

Kurz verstört mit einem Sager zur Schließung der Kulturstätten.
Foto: EPA / Christian Bruner

Dass Kultur für viele Menschen ein Lebensmittel ist, kann sich der Kanzler offenbar nicht vorstellen. Und die gesamte Regierung folgt ihm auf diesem Weg. Dass sich etwa die wenigen Veranstalter, die den Mut hatten, im heurigen Herbst eine geplante Lesung mit mir tatsächlich durchzuführen, penibel an Sicherheitskonzepte hielten, Besucherobergrenzen festsetzten, Voranmeldungen verlangten und große Sitzabstände vorsahen, ändert nichts daran, dass da jetzt gar nichts mehr geht. Wohl aber zum Beispiel in evangelikalen Gemeinschaften, von denen man mit einigem Grund annehmen darf, dass sie weniger penibel agieren.

Kanzler Kurz ist ohnehin deutlich geworden: Religion ist eine heikle Sache, Kultur eine Spielwiese Verliebter. Wer auf solchen Prinzipien seine Politik der Pandemiebekämpfung aufbaut, darf sich nicht wundern, wenn er scharf kritisiert wird. Denn nicht die Expertise der Fachleute und die tatsächliche Gefährdungslage werden so zur Richtschnur von Verordnungen, also von Verboten und Genehmigungen, sondern die Präferenzen politisch Verantwortlicher, gespeist von Ideologie und Lobbyismus. Und davon, von Kulturverliebtheit bestimmt nicht angekränkelt zu sein. (Ludwig Laher, 2.11.2020)