80 Prozent des Umsatzes jener Betriebe werden ersetzt, die in den nächsten Wochen schließen müssen. Basis ist der Vorjahresumsatz. Gastronomie und Hotellerie sperren zu. Händler dürfen weiter offen halten. Viele sehen ihre Geschäfte dennoch den Bach runtergehen.

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Wien – Christine Rührlinger fühlt sich massiv im Nachteil. Seit Corona die Politik zu einem zweiten Lockdown von weiten Teilen der Wirtschaft veranlasste, noch mehr. "Warum wird Betrieben, die von der Schließung im November betroffen sind, der Großteil des Umsatzes ersetzt, jenen, die im März und April finanziell durch die Finger schauten, aber nicht?", fragt sich die Eigentümerin des Braut- und Abendmodengeschäfts Hänsel & Gretel.

Weshalb bekommen Händler anders als Gastronomen entgangenes Geschäft nicht ersetzt, obwohl viele unter ihnen in den kommenden vier Wochen auf 80 Prozent ihrer Waren sitzen bleiben werden? Und wieso fließen an Hoteliers, die im Sommer die Saison ihres Lebens verbuchten, nun satte Hilfen, während Händler, die seit März die Hälfte des Absatzes einbüßten, um jeden Euro Fixkostenersatz kämpfen?

Schnell, aber unfair?

Fragen, die sich Unternehmerinnen wie Rührlinger stellen, entzweien Österreichs Wirtschaftstreibende. Wie gerecht sind die Maßnahmen, die im Zuge der rasant gestiegenen Infektionszahlen verordnet werden? Wie fair sind die Entschädigungen, mit denen die Regierung finanzielle Krisen mildern will?

Fitnesscenter sperren zu. Friseure und Fußpfleger dürfen ihre Dienste weiter anbieten. Lässt sich diese Ungleichbehandlung sachlich argumentieren? Warum wird nicht innerhalb der Gastronomie zwischen Tag- und Nachtgeschäften differenziert? Feiern Kunden auch im Sushi-Lokal im Einkaufszentrum Partys?

Ein Fressen für Juristen

Was ist, wenn Freiberuflern oder Kulturschaffenden das Gros der Honorare im Vorjahr nicht im November, sondern erst im Dezember oder Jänner bezahlt wurde? Dann würde der Vergleichszeitraum zu massiver Verzerrung und Einbußen führen. Was, wenn Betriebe mit sehr hohen Personalkosten Kurzarbeit wie Umsatzentschädigung in Anspruch nehmen und daher mit Gewinnen aus dem Lockdown aussteigen? Und sagt Umsatz überhaupt etwas über den Ertrag aus?

Die Liste der angreifbaren Punkte der neuen Corona-Regelungen lässt sich beliebig fortsetzen. Viele davon werden wie beim ersten Lockdown auch diesmal vor dem Verfassungsgerichtshof landen, ist der Anwalt und Rechtsprofessor Georg Eisenberger überzeugt. Aus seiner Sicht entscheidend sind wissenschaftliche Gründe, mit denen die Regierung die Maßnahmen erklären muss: ob mit Zahlen zur Clusterbildung, der Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung oder Erfahrungswerten aus anderen Ländern. Eine Lösung zu finden, die keinen benachteilige, sei aber eine für die Politik nicht bewältigbare Aufgabe. "Letztlich gibt es hier keine Gerechtigkeit."

Einkaufen oder kuscheln?

Jeder Versuch, fairer zu agieren, mache ein neues Fass auf, je zielgerichteter auf einzelne Befindlichkeiten reagiert werde, desto mehr Probleme täten sich auf, gibt auch der Wettbewerbsexperte des Wifo, Michael Böheim, zu bedenken. "Argumente der Gerechtigkeit sollten in Zeiten wie diesen nicht überstrapaziert werden. Geschwindigkeit und wenig Bürokratie sind die Trümpfe, die derzeit alle anderen schlagen."

Böheim hält das von Deutschland kopierte Vorhaben, Umsatzausfälle zu kompensieren, für klug. Es brauche dafür nicht einmal einen Antrag. Dass die Gastronomie im Gegensatz zum Handel das Nachsehen habe, sei rational nachvollziehbar. "Im Geschäft wird nun einmal nicht so eng gekuschelt wie am Stammtisch." Die Frage der Gerechtigkeit sei zweitrangig, sofern echte Härtefälle abgefedert würden.

"Covid-19 ist nicht gerecht"

Helmut Hofer, Experte des Instituts für Höhere Studien, schlägt in dieselbe Kerbe. "Covid-19 an sich ist nicht gerecht." Die Frage der Fairness werde sich vor allem dann stellen, wenn es darum gehe, wer für die Krise bezahle.

Was es brauche, seien rasche und einfache Regeln. Durchschnittliche Jahresumsätze als Grundlage für die Bemessung der Entschädigung heranzuziehen macht aus seiner Sicht im saisonalen Gewerbe wenig Sinn.

Faktisch eingeschränkt

Genau in diesem Punkt tun sich im persönlichen Dienst, zu dem Friseure ebenso gehören wie Kosmetikstudios und Fußpfleger, tiefe Gräben auf. Unter Wiener Friseuren gibt es nicht wenige, die das Offenhalten ihrer Salons mehr als Belastung denn als Chance sehen, weil sie sich in ihren Erwerbsmöglichkeiten nicht rechtlich, aber faktisch eingeschränkt sehen. "Ballsaison und Fasching fallen aus und damit das wichtigste Geschäft im Winterhalbjahr", sagt ein Salonbetreiber, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Zu den laufenden Kosten, die durch den Fixkostenzuschuss nicht annähernd abgedeckt würden, kämen nun die Nachzahlungen der gestundeten Sozialversicherungsbeiträge. Die Forderungen der Bundesinnung nach zusätzlicher Unterstützung für Gewerbe und Handwerk habe bis dato nicht gefruchtet.

Bis Montag durfte im Freien noch gegessen und getrunken werden. Ab Dienstag darf die Bratwurst nicht mehr am Tresen des Würstelstands verzehrt werden.
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Rechtsanwalt Georg Krakow von Baker McKenzie sieht insbesondere die von den Sozialpartnern gewünschte Handelssperrstunde um 19 Uhr kritisch: Sie lasse sich nicht in die ab Dienstag geltende Schutzmaßnahmenverordnung einbauen. "Dort gibt es bezüglich der Ausgangssperre ab 20 Uhr klare Ausnahmen für berufliche Zwecke, aber auch zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens." Das Einkaufen einerseits explizit zu ermöglichen, andererseits aber die Geschäfte per Verordnung früher zu schließen, sei nicht argumentierbar. Zudem käme es zu einer kaum erklärbaren Ungleichbehandlung mit allen anderen Angestellten, die zu beruflichen Zwecken auch länger im Büro sein dürften.

Nicht so streng wie in Tschechien

Im Gleichklang mit der Gastronomie und Hotellerie auch den Handel ein zweites Mal zuzusperren könne sich der Staat schlicht nicht leisten, betont Gerhard Zimmermann. Der Chef der Schuhhandelskette CCC ging rechtlich dagegen vor, dass seine Filialen aufgrund ihrer Größe im Frühjahr länger geschlossen bleiben mussten als jene der Konkurrenz. Die Causa liege bei der Finanzprokuratur. Diese arbeite Richtlinien für möglichen Schadenersatz aus. Über die aktuellen Regeln zeigt sich Zimmermann erleichtert, seine Geschäfte in Tschechien und der Slowakei seien von weit strengeren Restriktionen betroffen.

Es geht um die Wurst

Während Cafés und Konditoreien auf Gassenverkauf umrüsten, hadert der Würstelstandler zwischen Bahnhof Wien-Mitte und Innenstadt mit den verordneten Beschränkungen. Er darf Hotdog und Bratwurst verkaufen, essen dürfen die Kunden aber nicht am Tresen. Die Ware darf nur eingepackt ausgehändigt werden. "Dann ist die Wurst kalt und fad, dabei ist die Ansteckungsgefahr im Freien gering."

Für Modehändlerin Rührlinger wäre "die Krise gegessen", wenn jedes von Corona betroffene Unternehmen, ob geschlossen oder nicht, zusätzlich zur Kurzarbeitsregelung die Hälfte des verlorenen Umsatzes ersetzt bekäme. Mit diesem Geld dann vor allem die Steuer- und Abgabenstundungen beglichen. "Die simple Lösung wäre Gleichbehandlung." (Verena Kainrath, Luise Ungerboeck, 3.11.2020)