STANDARD: Herr Präsident, was sagen Sie, wenn Sie von Österreichern hören: "Das ist nur die Schuld des Islam, denn sonst hätten wir keinen Terrorismus"?

Ümit Vural: Das ist genau die Reaktion, die sich diese Terroristen wünschen. Ich möchte alle Menschen zur Besonnenheit und Vernunft einladen, denn wir müssen als Gesellschaft zwischen der friedlichen Religion des Islam und diesen Extremisten unterscheiden. Das ist eine Ideologie, die Gewalt gutheißt, die entmenschlicht und die wir zutiefst ablehnen. Ich versuche meinen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft zu leisten, und die beste Antwort darauf ist mehr Zusammenhalt. Unsere Demokratie, unsere Freiheit, unsere liberale Rechtsordnung wird gegen diesen Terror obsiegen. Wenn wir obsiegen, dann lassen wir uns nicht spalten.

STANDARD: Ist der Attentäter, dieser junge Mann, ein Vertreter des politischen Islam? Wie sehen Sie diesen jungen Menschen?

Vural: Es gibt keine Definition des politischen Islam. Aber ich kann Ihnen sagen, was der junge Mann ist: ein Extremist, ein Terrorist, ein Straftäter, der verurteilt war und im Gefängnis gesessen ist. Damit ist vieles beantwortet. Als Religionsgemeinschaft sind wir uns unserer Verantwortung bewusst, wir wollen unseren Beitrag leisten für eine friedliche Gesellschaft – und dann kommt so ein Angriff. Sie können sich vorstellen, wie betroffen uns das macht. Wie unsere Bemühungen dadurch konterkariert werden. Dadurch will ich mir erlauben, alle Mitmenschen zu ersuchen, mehr zusammenzurücken, zusammenzuhalten und sich nicht spalten zu lassen.

Ümit Vural möchte alle Menschen zur Besonnenheit und Vernunft einladen.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

STANDARD: Der Bundeskanzler hat gesagt: Es kämpfen nicht Christen gegen Muslime und Österreicher gegen Migranten, sondern alle gegen den Extremismus.

Vural: Da spricht er uns aus der Seele, das ist ein gemeinsamer Kampf zum Schutz unserer Demokratie, unserer liberalen Rechtsordnung.

STANDARD: Nun ist es aber so, dass dieser junge Mann angeblich in einer Moschee radikalisiert wurde. Was sagen Sie dazu, dass in Moscheen immer noch rekrutiert wird für Islamismus und wohl auch Terrorismus.

Vural: Ich ersuche Sie, mit dem Begriff Moschee vorsichtig zu sein, denn Moscheen sind nur solche Institutionen, die unter unserem Dach angedockt sind und unsere Lehre vermitteln. Es gibt aber leider, und da gebe ich Ihnen inhaltlich recht, diese Hinterhofvereine, die sich Moschee nennen und ihre Vorstellungen vermitteln. Die wollen wir auch nicht, weil sie nicht unser Verständnis von Zusammenhalt und Pluralität teilen. Ich gehe davon aus, dass dem Verfassungsschutz diese Hinterhofvereine bekannt sind. Aber wir sind keine Sicherheitsbehörde, sondern eine Religionsgemeinschaft. Wir setzen uns viel in den Präventionsarbeit ein, damit die sich nicht extremistisch entfalten. Es sind wenige, aber doch.

STANDARD: War der Attentäter in einer Moschee engagiert?

Vural: Nach den mir vorliegenden Informationen: nein. Aber es macht mich fassungslos, wie er zu einer solchen Tat kommen konnte. Für die sind wir keine Gläubigen, sondern Verräter, weil wir zum Rechtsstaat stehen. (Hans Rauscher, 3.11.2020)