Solidarität und Nächstenliebe trotz Abstands heißt es in den Kirchen und Synagogen während der Pandemie. Religiöse Feiern sind auf ein Minimum reduziert.

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Dem Lockdown sind etliche Schließungen im Land geschuldet, doch in Gotteshäusern werden die Schlüssel nicht temporär umgedreht. Von katholischer Seite hat man auf die Forderung, die zuletzt von vielen Kulturschaffenden kam, eine klare Antwort: "Die Kirchen bleiben offen. Alles andere wäre ein zu massiver Eingriff in die Religionsfreiheit", argumentiert Paul Wuthe, Pressereferent der Bischofskonferenz, am Montag im STANDARD-Gespräch, "die Religionsfreiheit ist ein Grundrecht. Die Gläubigen brauchen gerade in schwierigen Zeiten einen Ankerplatz, einen Ort des Gebets."

Wuthe weiter: "Zwischen den Religionsgemeinschaften und dem Kultusministerium wurde jüngst eine weitere Verschärfung der Corona-Schutzmaßnahmen vereinbart. Eine Konkretisierung dieser Verschärfungen für den Bereich der katholischen Kirche ist durch die Bischofskonferenz gerade in Ausarbeitung."

Konkret ist, wie bisher, während des gesamten Gottesdienstes einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Desinfektionsmittel sollen ausreichend zur Verfügung gestellt werden. Zwischen den Gläubigen ist ein Abstand von mindestens 1,5 Metern einzuhalten. Dieser gilt aber nicht, wenn dies die Vornahme religiöser Handlungen erfordert – dann ist ebenfalls ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Gemeinde- und Chorgesänge werden bis auf weiteres ausgesetzt. Und aufschiebbare religiöse Feiern wie etwa Trauungen werden aufgeschoben.

Religion vor Bildung

Scharfe Kritik kommt von der "Initiative Religion ist Privatsache". Deren Sprecher Eytan Reif: "Die Selbstverständlichkeit, mit der OberstufenschülerInnen und ihre Eltern ins Homeschooling verbannt werden, während religiöse Veranstaltungen ermöglicht werden, ist atemberaubend. Abermals zeigt sich, dass in Österreich Religion der Bildung vorgezogen wird."

Ein Rundruf des STANDARD bei Kirchen und der jüdischen Gemeinde am Montag ergab indes, dass sich diese schon vor Inkrafttreten der Verordnung einige Verschärfungen selbst bzw. in Absprache mit dem Kultusministerium auferlegt haben. So entfallen alle religiösen Feste wie etwa Hochzeiten in den Kirchen und in der Israelitischen Kultusgemeinde. Das erzählen der steirische Bischof Wilhelm Krautwaschl und der in Graz und Wien tätige Rabbiner Schlomo Hofmeister – wenige Stunden vor dem Terroranschlag am Montag. Abgesehen vom Abstand in den Reihen, bleibt in Kirchen und Synagogen auch jede zweite Reihe frei, man muss also 1,5 Meter Abstand in jede Himmelsrichtung einhalten. Gottesdienste werden zeitlich auf ein Minimum reduziert. Doch "gerade in der schwierigen Zeit der Pandemie erleben viele Menschen in Gottesdiensten Trost, Ermutigung und Halt", so Thomas Dasek, Sprecher der evangelischen Kirche.

Gesänge werden in allen Kirchen verstummen. Von den 21 Wiener Synagogen singt normalerweise nur der Kantor der Hauptsynagoge. In allen Synagogen müssen Funktionsträger in Gottesdiensten allerdings ab sofort einen negativen Test vorlegen. Mund-Nasen-Schutz muss auch bei negativem Testergebnis während des gesamten Gottesdienstes getragen werden, weil ein Test "nur eine Momentaufnahme ist", heißt es in einer E-Mail an Gemeindemitglieder.

"Moralische Pflicht"

"Es ist die gesetzliche und moralische Pflicht jedes Einzelnen, sich an die Regeln zu halten", heißt es in dem Schreiben weiter. Es wird viel gelüftet, Handdesinfektionsmittel stehen überall bereit. In der Jüdischen Gemeinde Graz werden überhaupt keine synagogalen Gottesdienste abgehalten.

Hofmeister fühlt mit den Theatern: "Man kann hinterfragen, warum Einrichtungen schließen müssen, wo sich offenbar niemand angesteckt hat und nur etwa drei Prozent der Bevölkerung hingehen." Auch Bischof Krautwaschl betont: "Mir tut das weh, wenn ich nicht mehr ins Theater gehen kann." Doch es gäbe auch Kirchgänger, "die sonst keine sozialen Kontakte haben, denen können wir nicht die Türen verschließen". Andere blieben aber schon jetzt aus Vorsicht weg. "Die Weihwasserbecken sind seit September leer", erzählt der Bischof, "zu Allerheiligen haben wir Weihwasser für zu Hause ausgegeben, das ist weggegangen wie die warmen Semmeln".

Beten auf dem Balkon

Krautwaschl und Hofmeister wollen abwarten, wie sich die Lage bis Mitte November entwickelt. "Während des ersten Lockdowns gab es Gemeindemitglieder im zweiten Bezirk, die vor der eigenen Wohnungstür im Stiegenhaus oder auf ihren Balkonen gemeinsam gebetet haben, erzählt Hofmeister. Zudem gebe es die Möglichkeit, kurz vor Beginn des Sabbats und direkt danach online zu feiern. Während des Sabbats ist das nicht möglich, weil orthodoxe Juden dann keine elektronischen Geräte bedienen dürfen. (Markus Rohrhofer, Colette M. Schmidt, 4.11.2020)