Abwarten und Espresso trinken dürfte nicht reichen: Italiens Premier Giuseppe Conte hat viel an Popularität eingebüßt.

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Im vergangenen März, bei der ersten Covid-Welle, bewiesen die Italiener noch Herz und zeigten Geschlossenheit in der Not: Von der Regierung eingesperrt in ihren Wohnungen, traten sie auf ihre Balkone, um den Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern zu applaudieren. Sie sangen die Nationalhymne und das Partisanenlied "Bella ciao", um sich einander nahe zu fühlen und sich solidarisch zu zeigen. Und um sich selber Mut zu machen: "Andrà tutto bene" stand millionenfach auf Zetteln in den Fenstern und auf Plakaten auf den Mauern: Es wird alles gutgehen.

Jetzt, in der zweiten Welle, ist in Italien niemandem mehr zum Singen zumute – und dass bald alles wieder gut werde, glaubt auch keiner mehr. Stattdessen herrschen Wut und Verunsicherung. Zehntausende Kleinunternehmer, die ihre Betriebe wieder ganz oder teilweise schließen müssen und von Existenzängsten geplagt werden, sind in den vergangenen Tagen in ganz Italien auf die Straße gegangen.

Auf der friedlichen Protestwelle des Kleingewerbes und der Restaurantbesitzer surfen gewalttätige links- und rechtsradikale Gruppen mit, die der Polizei Straßenschlachten liefern und Geschäfte plündern. Es brodelt im Belpaese.

Die Stimmung kippt

Wie sehr die Stimmung gekippt ist, zeigt sich an den Umfragewerten für Ministerpräsident Giuseppe Conte. Der parteifreie Rechtsprofessor aus Süditalien, den sich viele Italiener während der ersten Welle noch als Premier auf Lebenszeit gewünscht hätten, hat zuletzt bis zu zehn Prozent an Popularität und Vertrauen eingebüßt. Mit über 50 Prozent Zustimmung ist Conte zwar immer noch der beliebteste Politiker im Land – aber Nummer zwei ist inzwischen Giorgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia, mit 36 Prozent. Ihr Rivale von der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, kommt auf 31 Prozent.

Conte ist es in der zweiten Welle bisher nicht gelungen, den Anstieg der Fallzahlen zu stoppen. Je nach Anzahl der durchgeführten Tests registriert Italien derzeit zwischen 20.000 und 30.000 Neuinfektionen am Tag; täglich sterben zwischen 200 und 300 Menschen an der Infektion mit dem Coronavirus. Bereits liegen wieder 20.000 Patienten mit Covid-19 in den Krankenhäusern, 2000 auf den Intensivstationen. Am Montag schlugen Ärzte in Mailand Alarm und forderten den generellen Lockdown für die Lombardei.

Der Regierung wird nicht nur vorgeworfen, zu wenig entschieden gegen den neuen Notstand vorgegangen zu sein, sondern diesen mit diversen Versäumnissen im Sommer geradezu provoziert zu haben. Das ist der große Unterschied im Vergleich zur Situation im Frühling: Die erste Welle, die Italien als erstes europäisches Land und mit über 30.000 Toten brutal getroffen hatte, wurde von den Italienern als eine Art Fatalität, als höhere Gewalt empfunden. Für die zweite Welle wird dagegen in erster Linie die Regierung verantwortlich gemacht. Und deshalb verliert Conte weiter an Rückhalt.

Gezerre um Maßnahmen

Hinzu kommen der permanente Streit zwischen der Zentralregierung in Rom und den Präsidenten der 20 Regionen um die neuen Maßnahmen sowie die Uneinigkeit innerhalb der Regierung. Während der sozialdemokratische PD und insbesondere Gesundheitsminister Roberto Speranza für einen harten Kurs plädieren, wollen die Fünf-Sterne-Protestbewegung und Conte angesichts der Gefahr sozialer Unruhen einen Lockdown wie im Frühling vermeiden. Die Folge dieser Streitereien: Das ursprünglich für Sonntag angekündigte Dekret, mit dem die Regierung neue Maßnahmen verfügen wollte, war bis Dienstag noch nicht unterzeichnet.

Die Konfusion in Rom ist inzwischen derart groß, dass sich Staatspräsident Sergio Mattarella am Montag zum Einschreiten genötigt sah und mehr Einigkeit und Entschlossenheit anmahnte. Eingeschaltet hat sich auch Ex-Premier Mario Monti: Der Retter in der Finanzkrise von 2011 und 2012 forderte eine Regierung der nationalen Einheit. Die Gefahr eines erneuten Zusammenbruchs des Gesundheitssystems würde dies rechtfertigen, schrieb Monti im Corriere della Sera. Davon will Conte nichts wissen – aber er hat pro forma immerhin versucht, Oppositionsführer Matteo Salvini bei der Ausarbeitung des Dekrets einzubeziehen und ihn damit ebenfalls in die Verantwortung zu nehmen. Bisher mit mäßigem Erfolg.

Nach Vorbild Österreichs

Laut Medienberichten will die Regierung mit dem neuen Dekret ein Ampelsystem nach österreichischem Vorbild einführen. Das heißt, dass zusätzlich zu national geltenden neuen Restriktionen – die Rede ist unter anderem von einer Ausgangssperre ab 20 oder 21 Uhr – regionale Regelungen getroffen werden können, die der Infektionssituation in den jeweiligen Gebieten Rechnung tragen.

Zu "roten Zonen" erklärt würden laut den Berichten die Lombardei, das Piemont und Kalabrien. Dort würde ein ähnlich strenger lokaler Lockdown verfügt wie im Frühling für das ganze Land. Orange wären Ligurien, Apulien und Kampanien. Vorläufig keine weitergehenden Maßnahmen einführen müssten die "grüne Zonen" Latium, die Toskana, aber auch Venetien und die Emilia-Romagna, die im Frühling noch zu den am meisten betroffenen Regionen zählten. (Dominik Straub aus Rom, 3.11.2020)