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Vor vier Jahren überwachte Joe Biden (unten in der Mitte) als Vizepräsident die Zählung der Wahlleutestimmen in Washington. Diesmal kandidierte er selbst.

Foto: Getty Images / AFP / Mark Wilson

Die Präsidentenwahl in den USA ist geschlagen. Wie immer fand sie "am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November" des Wahljahres statt – so will es das Gesetz. Ob aber am Mittwoch bereits Klarheit über das nächste Staatsoberhaupt herrschen wird, darüber hatte es im Vorfeld jede Menge Spekulationen gegeben. Immerhin hatte Amtsinhaber Donald Trump die Öffentlichkeit auf ein mögliches Tauziehen nach der Wahl eingestimmt. Die US-Verfassung macht's möglich: Vom Wahltag bis zur Angelobung des Präsidenten am 20. Jänner ist es ein langer Weg.

Frage: Gilt der Präsident bereits offiziell als gewählt, sobald alle Stimmen ausgezählt sind?

Antwort: Nein. Das Staatsoberhaupt wird in den USA nicht per Direktwahl bestimmt, sondern indirekt durch das "electoral college", das Wahlleutekollegium. Es besteht aus 538 Personen. Jeder Bundesstaat ist mit so vielen Wahlleuten vertreten, wie er Mandatare in beiden Häusern des Kongresses hat. Dazu kommen noch drei Wahlleute aus dem Hauptstadtbezirk Washington, D.C. Die Zahl der Senatoren ist für alle 50 Bundesstaaten gleich – nämlich zwei. Die Zahl der Abgeordneten im Repräsentantenhaus jedoch variiert je nach Bevölkerungsgröße. Entsprechend unterschiedlich ist auch die Zahl der Wahlleute aus den einzelnen Bundesstaaten.

Frage: Haben die Stimmen aller Bürgerinnen und Bürger in diesem System das gleiche Gewicht?

Antwort: Ganz und gar nicht. In den größten Staaten kommen auf eine Wahlperson mehr als doppelt so viele Wahlberechtigte wie in den kleinsten. Mit anderen Worten: In kleineren Staaten stehen hinter jeder Wahlperson weniger Einzelstimmen, Letztere haben dort also mehr Gewicht. Vor allem Demokraten beklagen, dass dieses System tendenziell die Republikaner bevorzugt, da viele Staaten mit wenigen Einwohnern ländlich geprägt und eher konservativ sind.

Frage: Warum wurden in Gedankenspielen zum Wahlausgang meist alle Wahlleute aus einem Bundesstaat einem Kandidaten zugeschrieben?

Antwort: Weil das den Regeln entspricht. Fast überall gilt das Prinzip "The winner takes it all": Auch wenn ein Kandidat in einem Staat mit nur hauchdünnem Vorsprung gewinnt, werden ihm alle dortigen Wahlleute zugeschrieben. Ausnahmen bilden nur Maine mit vier und Nebraska mit fünf Wahlleuten, wo Stimmensplitting möglich ist.

Frage: Inwiefern sind die Wahlleute in ihrer Entscheidung eigentlich frei?

Antwort: Weder die US-Verfassung noch andere Bundesgesetze zwingen die Wahlleute zu einem bestimmten Verhalten. Auf Ebene einzelner Bundesstaaten gibt es entsprechende Regelungen allerdings sehr wohl. Zudem nominieren die beiden großen Parteien respektive Kandidatenteams in der Regel besonders loyale Mitstreiter für das "electoral college", um "treulose Wahlleute" ("faithless electors") von der Entscheidungsfindung tunlichst fernzuhalten.

Frage: Kommt es trotzdem vor, dass Wahlleute anders wählen, als sie eigentlich sollten?

Antwort: Ja, wenn auch sehr selten. Allerdings gingen bei der jüngsten Wahl 2016 immerhin sieben Stimmen aufgrund von "faithless electors" verloren – wobei auch einige Demokraten einem anderen Republikaner als Trump die Stimme gaben, um eben einen Präsidenten Trump zu verhindern.

Frage: Welche Fristen laufen nun für die Wahlleute? Wann passiert was?

Antwort: Bis 8. Dezember sollte es in allen Bundesstaaten Klarheit über die Zuteilung der Wahlleute geben, so will es die sogenannte "safe harbour deadline". Ein weiterer Schlüsseltermin ist traditionell "der erste Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember" – heuer der 14. 12. An diesem Tag treten die Wahlleute in den Hauptstädten ihrer Bundesstaaten zusammen, um offiziell ihre Stimmen abzugeben.

Frage: Es gibt also gar kein gemeinsames Treffen aller 538 Wahlleute?

Antwort: Genau. Jeder Bundesstaat übermittelt sein Ergebnis nach Washington, wo am 6. Jänner auf einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus die 538 Stimmen ausgezählt werden. Erst dann verkündet der Vizepräsident – aktuell Mike Pence – offiziell das Wahlergebnis, das da in der Regel längst bekannt ist. Kommt es zu Streitigkeiten über den Ausgang, könnte ein Staat aber unterschiedliche Elektorenlisten übermitteln – etwa dann, wenn das Ergebnis umstritten ist. Dann wäre der Kongress am Zug. Die Angelobung am 20. Jänner ist jedoch laut Verfassung fix.

Frage: Im Vorfeld der Wahl gab es Spekulationen über schmutzige Tricks und Wahlmanipulation. Was steckt da dahinter?

Antwort: Der republikanische Amtsinhaber Donald Trump hatte selbst erklärt, ein Ergebnis nicht unbedingt anerkennen zu wollen, und solchen Überlegungen damit Tür und Tor geöffnet. Trump lag in den allermeisten Umfragen klar hinter seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden zurück. Viele warfen ihm etwa vor, eine drohende Niederlage abwenden zu wollen, indem er Briefwahlstimmen diskreditierte und ohne Belege mit Wahlbetrug in Verbindung brachte.

Frage: Warum schoss Trump sich ausgerechnet auf Briefwähler ein?

Antwort: Die Zahl der Briefwähler war diesmal besonders hoch, vor allem wegen der Corona-Krise. Zudem geht man davon aus, dass es vor allem demokratische Wählerinnen und Wähler sind, die per Brief abstimmen. Sie gelten als mobiler und als sensibler für die Gefahren der Covid-19-Pandemie, die Trump ja oft heruntergespielt hat. Bis kurz vor der Wahl galt bei ihnen die Faustregel: Je knapper die Kandidaten in der Wahlnacht beisammenliegen, desto größer wäre die Versuchung für Trump, Auszählungen zu verzögern oder stoppen zu lassen. Dabei, so fürchteten die Demokraten, könnten ihm eine chaotische Rechtslage und willfährige Gerichte zu Hilfe kommen – bis hin zum Supreme Court, der seit der Ernennung der erzkonservativen Höchstrichterin Amy Coney Barrett Ende Oktober noch klarer in republikanischer Hand ist als bisher. (Gerald Schubert, 4.11.2020)