Vergangene Woche in Frankreich.

Foto: AFP

Ist es ein Amoklauf oder ein Terroranschlag? Handelt ein Einzeltäter, oder steckt ein Netzwerk von Extremisten dahinter? Und welche weiteren Gefahren ergeben sich daraus?

Das sind meist die ersten Fragen, die sich Einsatzkräfte und Ermittler bei ihrem Eingreifen wie im Zentrum von Wien stellen und klären müssen. So war es auch Montagabend um 20 Uhr, als der 20-jährige Attentäter vor der Synagoge in der Seitenstettengasse wahllos auf Menschen zu schießen begann.

Allein wegen des Ortes dachten viele sofort an einen Terrorakt, nicht an die Tat eines einfachen Mörders. 1981 gab es einen Anschlag auf die Synagoge.

Ähnlichkeit mit anderen Fällen gibt erste Hinweise. So war beim Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel im Jahr 2014, bei dem vier Menschen erschossen wurden, rasch klar, dass es sich um einen Einzeltäter handelte, was sein Motiv war.

Kriminelle Netzwerke

In Wien hielten es manche im ersten Moment für möglich, dass sie Zeugen eines Bandenkriegs wurden. Die Synagoge war geschlossen. Es gingen bald erste Nachrichten von mehreren Tätern um, weil so viele Schüsse fielen, an sechs voneinander entfernt liegenden Orten. Das deutete auf den Angriff einer organisierten Gruppe hin – wie in Paris im Jahr 2015, als Islamisten in Cafés und im Bataclan-Theater ein Blutbad anrichteten. Auch die Anschläge auf Flughafen und U-Bahn in Brüssel waren von diesem Netzwerk geplant, der belgische Polizeieinsatz riesig, die Stadt lahmgelegt. Tagelang wurden Komplizen im ganzen Land gejagt.

Wie sich dann herausstellte, steckten in Jahren aufgebaute islamistische Netzwerke hinter den Anschlägen, mit direkter Verbindung zum IS, ausgeführt von jungen Männern in Städten, in denen sie aufgewachsen waren.

In Europa geboren

Ihr wichtigster Anführer, Salah Abdeslam (inzwischen verurteilt), war als Sohn marokkanischer Einwanderer in Brüssel zur Schule gegangen, über Drogenhandel auf die schiefe Bahn geraten und im Gefängnis gelandet, ehe er sich zum Islamisten radikalisierte. Ein ähnliches Profil wiesen auch seine Komplizen auf.

Der Wiener Attentäter, so er denn als Einzeltäter handelte, hätte eine Parallele zum Terrorangriff in Straßburg zu Weihnachten 2018. Der dortige Attentäter rannte um 19.50 Uhr von der Kathedrale seiner Heimatstadt los. Auf dem Weg kreuz und quer durch die engen Gassen erschoss und erstach er fünf Menschen, verletzte elf weitere schwer. Zwei Tage später wurde er von der Polizei gestellt und erschossen. Er wurde in Straßburg geboren, hatte marokkanische Wurzeln, eine kleinkriminelle Vergangenheit, ehe er sich radikalisierte und zum "Islamischen Staat" bekannte. (Thomas Mayer, 4.11.2020)