"Für den neutralen Zuschauer war es ein Topspiel, für die Trainer nicht so top", fasste Bayern-Trainer Hansi Flick eine nicht durch defensive Stabilität geprägte Partie zusammen.

Foto: EPA/LUKAS BARTH-TUTTAS

Gegen Ende der Partie brachen die Dämme.

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Salzburg – Ausnahmsweise hatte die Ururgroßmutter aller Fußballer-Stehsätze einen Sinn. "Es war das erwartet schwere Spiel heute", sagte Jerome Boateng. Es war nachweislich keine Höflichkeitsfloskel, die der Verteidiger des FC Bayern da von sich gab. Der Champions-League-Titelverteidiger hatte mit dem FC Salzburg seine liebe Mühe gehabt, erst Boatengs Kopfballtor zum 3:2 in der 79. Minute war der "Dammbruch", wie es Bullen-Trainer Jesse Marsch später nannte.

Am Ende leuchtete ein 6:2 von der Anzeigetafel. Wieder Boateng: "Wir wussten, dass die Salzburger ein sehr intensives Spiel spielen und am Ende ein bisschen müde werden und haben es dann ausgenützt." Dass das Ergebnis so überdeutlich wurde, schmerzte die Salzburger. "So eine hohe Niederlage haben wir uns nicht verdient", sagte Zlatko Junuzovic. Dem 2:3 folgte schnell das 2:4. "Dann haben wir uns aufgegeben, dafür gibt es keine Entschuldigung", sagte Maximilian Wöber.

"Wir haben sie richtig genervt"

"75 Minuten lang waren wir überragend", sagte Marsch. "Wir haben sie richtig genervt, das hat man auch am Platz gespürt", sagte Junuzovic. Salzburg kam über abgefangene Pässe und Ballgewinne im Mittelfeld oft zu vielversprechenden Gegenstößen, trug diese aber oft zu hektisch vor. "Beim Stand von 2:2 hatten wir die Chance auf das 3:2, da fehlte die Entschlossenheit", trauerte Junuzovic Noah Okafors Großchance kurz vor dem vorentscheidenden Gegentor nach.

Trainer Marsch beklagte den Unparteiischen Danny Makkelie, der einige grenzwertige Entscheidungen gegen den Außenseiter fällte. So hätte es beim Stand von 1:1 nach einem Handspiel von Corentin Tolisso Elfer geben können. "Ich habe nie etwas über den Schiedsrichter gesagt, aber heute müssen wir sagen: Er war nicht gut", sagte Marsch.

Bitterer Taktikgriff

Auch sich selbst hatte der US-Amerikaner etwas vorzuwerfen. In der 76. Minute stellte er mit der Einwechslung von Jérôme Onguéné auf eine Fünferkette um. "Ich bin nicht zufrieden mit diesem Wechsel", gestand Marsch später auf STANDARD-Nachfrage. Er begründete das Manöver mit den ersten zwei CL-Partien, als Salzburg jeweils eine Führung aus der Hand gegeben hatte. "Wir haben das analysiert und haben uns gedacht, wir stellen noch einen Verteidiger auf den Platz und schützen die Situation. Und es geht wieder total in die andere Richtung."

Es gab Lichtblicke. Mo Camara sammelte im Mittelfeld Bälle wie Halloween-Süßigkeiten, der oft wacklige Mergim Berisha glänzte in seiner Rolle hinter Solospitze Sekou Koita, dieser wiederum brachte Bayerns Defensive mehrfach ins Schwitzen. Der schnelle Spielaufbau nach Ballgewinnen wird Marsch Mut machen. Das sind aber Details, für die keine Tabelle der Welt eine Spalte freihält. Also wieder Junuzovic: "Es klingt nach einem 2:6 vielleicht blöd, aber heute war viel, viel mehr drinnen."

Dass es nicht viel, viel mehr wurde, lag letztlich auch an Salzburgs alten Schwächen, die in der Champions League stets gnadenloser aufgezeigt werden als in der heimischen Liga. Kleine Fehler in der Defensivarbeit, kurze Unkonzentriertheiten, falsche Entscheidungen: fast jedes Tor der Bayern hatte seinen vermeidbaren Grund. So verlor Rasmus Kristensen zweimal das entscheidende Kopfballduell, Enock Mwepus Elferfoul zum 1:1 war grob ungeschickt. Der völlig ausgelaugte Camara leistete sich im Finish bittere Ballverluste. "Am Ende waren sie aufgrund ihrer Spielweise schon richtig platt", sagte Thomas Müller.

Der ewige Alaba

In der deutschen Presse war das Thema weniger Bayerns Sieg, sondern weiter die zähe Vertragsverlängerungsgehaltsverhandlungsdiskussion rund um David Alaba. "Ich weiß jetzt nicht mehr, wie wir noch zusammenfinden sollen", sagte Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Karl-Heinz Rummenigge spielte vielleicht nicht den Good Cop, aber zumindest den Better Cop. Alaba müsse "nun für sich eine Entscheidung fällen", sagte der Vorstandschef.

Trainer Hansi Flick hat das Thema offenkundig satt. "Ich sage nichts mehr dazu. Mir ist es wichtig, dass wir Ruhe haben", sagte er im Hinblick auf den Bundesliga-Schlager gegen Borussia Dortmund. Die Spieler zeigten sich weitgehend unbeeindruckt. Es sei ein Thema, gestand Boateng, aber "nicht so groß, wie es gemacht wird." Und Thomas Müller scherzte gar: "Es ist auch schön, wenn’s ein bisschen knistert." (Martin Schauhuber, 4.11.2020)