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In den dunklen Minuten des Wiener Terroranschlags vom vergangenen Montag gab es einen Moment, der den Schrecken überdauern sollte. Eine kleine mentale Unterstützung inmitten des Grauens, die über das Netz ihren Weg an eine breite Öffentlichkeit fand und dort als stolze Trotzreaktion zum Symbol für den Zusammenhalt einer Stadt gegen den Terror wurde: "Schleich di, du Oaschloch!", soll auf der Tonspur eines wackeligen Handyvideos zu hören sein, das den schießenden Attentäter auf der Gasse zeigt. Die Empfehlung soll von einem Anrainer stammen. Zwar gibt es Zweifel bezüglich des exakten Wortlauts, eine Urban Legend war dennoch geboren.

Der zutiefst wienerische Spruch verbreitete sich als Hashtag im Netz und schaffte es sogar auf das Titelbild der deutschen Tageszeitung taz, die ihn in großen Lettern in ein Bild des Wiener Nachthimmels schrieb. Mittlerweile gibt es Buttons mit dem Wortlaut zu kaufen, T-Shirts oder Taschen. Dass derselbe Spruch im Netz auch auf Donald Trump Anwendung findet, zeugt von seiner universellen Tauglichkeit.

Innewohnende Empörung

Die Franzosen kreierten 2015 nach dem Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo die um die Welt gehende Solidaritätsbekundung #JeSuisCharlie, Wien gelang mit #SchleichDiDuOaschloch nun ein ähnliches Stück. Denn diese subjektive Äußerung wurde zum kollektiven Gefühl einer Stadt umgedeutet.

"Schleich di, du Oaschloch!" – diese Äußerung scheint typisch für die Wiener Mentalität zu sein. Zwar wohnt ihr die Empörung und eine verletzende Absicht inne – als "Oaschloch" bezeichnet man keine Freunde –, gleichzeitig zeigen sich der Unglaube und das Versöhnliche in ihr: "Schleich di" ist als legitime Antwort auf eine unnötige Entschuldigung ebenso in Verwendung wie als Ausdruck einer nichtreligiösen Ungläubigkeit, als Synonym für ein "Das gibt’s nicht!".

Es ist eine Eruption tiefer Ablehnung, in der eine Spur der sprichwörtlichen Wiener Gemütlichkeit enthalten ist. Es ist kein express gebelltes "Fahr zur Hölle!", nein, "schleich di" klingt eher als Aufforderung zur Lösung eines Tickets für den Bummelzug ins Nirgendwo: Geh’ in Oasch, aber geh’.

Legendäre Adresse

Für den Ausdruck mangelnder Sympathien ist der Wiener mit einem Überangebot an diesbezüglichen Bekenntnissen ausgestattet. Seine Sprache ist reich an bildhaften Beschimpfungen. Seine Schöpfungen fanden ab den 1970er-Jahren durch TV-Serien wie Ein echter Wiener geht nicht unter, Kottan ermittelt und später Trautmann populärkulturelle und überregionale Anerkennung.

Während anderswo wilde Punkmusik ertönte, textete André Heller ein Lied mit der legendär gewordenen Adresse Bei mir sads alle im Orsch daham. Übermittelt wurde dieses als Heurigenlied ausgeschilderte Bekenntnis von Helmut Qualtinger und der picksüßen Geige Toni Strickers; 1979 war das.

Ein schönes Bild

Selbst bescheidene Anlässe wie eine nicht besonders zusagende künstlerische Darbietung motivieren Hauptstadtbewohner zu Höchstleistungen: "Da schlaft mir beim Speiben des G’sicht ein", hat der verstorbene Ö3-Moderator Werner Geier einmal über das Werk einer bekannten heimischen Band gesagt. Ein schönes Bild.

Und von wenig populären Zeitgenossen weiß der gelernte Wiener, dass man denen "schon als Kindern einen Wurstkranz umhängen musste, damit wenigstens die Hunde mit ihnen spielen".

Feig

Der Kreativität sind im Zustand verbaler Aggression wenig Grenzen gesetzt, manche Schöpfungen sind ein kollektives Kulturerbe geworden. Und nicht zuletzt soll Fluchen sogar gesund sein, weil es Stress abbaut. Der Gebrauch obszöner Wortkreationen mag zwar gegen die Etikette verstoßen, er ist aber ein Ausdruck der Ehrlichkeit und bedarf des Mutes. Zumindest dann, wenn eine Beleidigung dem Gegenüber ins Gesicht gesagt wird.

Einem schwerbewaffneten Attentäter, der auf Wehrlose schießt, dem kann man keinen Mut nachsagen. So jemand ist ein Feigling – und jener von Wien wird als das in die Geschichte eingehen, als was er inmitten des Terrors erkannt wurde. (Karl Fluch, 4.11.2020)