Neben dem Weißen Haus die zweite Zentrale der politischen Macht in den USA: der Kongress.
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Im Mittelpunkt des Interesses, des Bangens, des Wartens, der Freude, der Enttäuschung und wohl auch der Verzweiflung stand für Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner in der Nacht zum Mittwoch natürlich die Frage, wer Präsident wird. Ob es "four more years", also vier weitere Jahre, mit Donald Trump geben wird oder ob es doch Joe Biden schafft, am 20. Jänner 2021 ins Weiße Haus einzuziehen.

Bloß nebenbei, so bekommt man bisweilen den Eindruck, liefen dazu die Urnengänge für den Kongress, das US-Parlament, ab. Doch gerade diese Wahlen in Senat und Repräsentantenhaus sind von zentraler Bedeutung: Zum einen sitzen, schalten und walten auf Capitol Hill die direkt gewählten Volksvertreter; und zum anderen sind sie es, die dem jeweiligen Präsidenten das Regieren leicht- oder das Leben schwermachen können: Sie können seine Macht beschneiden, indem sie Gesetzesbeschlüsse erschweren, verhindern oder zumindest verzögern. Checks and Balances: der Kongress als Kontrollinstanz und Ausgleich zum Präsidenten.

Schwieriges Regieren

Wer eine Kongresskammer gegen sich hat – wie es Donald Trump in den letzten beiden Amtsjahren erleben musste –, der hat es schon ganz schön schwer. Wer es aber mit gegnerischen Mehrheiten sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat zu tun hat, ist eine "lame duck", eine lahme Ente.

Verständlich daher, dass der Kampf um Mandate auf dem Capitol Hill – wenn auch nicht so öffentlichkeitswirksam inszeniert wie das Duell Donald Trump vs. Joe Biden – besonders spannend war. Für die Demokraten gab es in der Nacht auf Mittwoch – zumindest was das Repräsentantenhaus betrifft – Grund zum Jubel: Sie konnten ihre Vormachtstellung dort nicht nur halten, sondern sogar ausbauen. So konnte etwa die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez ihren Sitz eindrucksvoll verteidigen. Die streitbare 31-Jährige räumte in ihrem New Yorker Wahlkreis ab und gewann mit Zweidrittelmehrheit gegen ihren republikanischen Herausforderer, den 60-jährigen Ex-Polizisten John Cummings.

Ihre Hoffnungen, auch im Senat zu triumphieren, erfüllten sich allerdings vorerst nicht. Mehrere republikanische Wackelkandidaten konnten ihre Sitze überraschend verteidigen – darunter auch das republikanische Urgestein Lindsey Graham in South Carolina. In anderen Staaten gab es bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Zahlenspiele

Jeder der 50 Bundesstaaten entsendet zwei Senatoren nach Washington, bisher hielten die Republikaner eine Mehrheit von 53 Sitzen. 25 Republikaner und zehn Demokraten mussten sich heuer dem Votum ihrer Wählerschaft stellen – für alle anderen läuft die Amtszeit noch zwei bzw. vier Jahre weiter. So soll sichergestellt werden, dass punktuelle Wahlergebnisse zu keinen unmittelbar massiven Verschiebungen im Kongress führen.

Es soll ein Mindestmaß an Kontinuität und Berechenbarkeit gewahrt bleiben. Zwar konnten die Demokraten da und dort die Republikaner besiegen, doch auch sie waren nicht unverwundbar und mussten im Gegenzug den einen oder anderen Sitz abgeben. Sie verloren, wie erwartet, den Senatssitz in Alabama, konnten aber in Colorado und Arizona reüssieren, wo der ehemalige Astronaut Mark Kelly die prominente Republikanerin Martha McSally in die Wüste schickte.

Kelly ist der Ehemann von Gabrielle Giffords, die früher selbst Arizona im Repräsentantenhaus vertrat. Im Jänner 2011 wurde sie Opfer eines Attentats, das sie – im Gegensatz zu sechs anderen Personen – schwerverletzt überlebte.

Zu Redaktionsschluss war das Rennen noch in mehreren Bundesstaaten offen. Ein Machtwechsel von den "roten" Republikanern hin zu den "blauen" Demokraten blieb möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Mit Sicherheit bleibt das finale und offizielle Ergebnis sogar bis Jänner offen: Denn im südlichen Bundesstaat Georgia müssen die beiden Bestplatzierten eines außerturnusmäßig zu vergebenden Senatssitzes, die Republikanerin Kelly Loeffler und ihr demokratischer Herausforderer Raphael Warnock, am 5. Jänner 2021 in die Stichwahl. Loeffler, die erst seit Jänner im Senat sitzt, konnte sich nicht durchsetzen, darf aber dann auf die Stimmen eines knapp ausgeschiedenen drittplatzierten Parteikollegen zählen.

Was tun beim Patt?

Vom Wahlrecht so vorgesehen, aber in der politischen Praxis diffizil könnten die nächsten vier Jahre im Senat dann werden, wenn es zu einem Patt mit 50 gegen 50 Stimmen kommt. In diesem Fall gilt die Stimme des Vizepräsidenten bzw. der Vizepräsidentin, diese sorgt dann für einen Mehrheitsbeschluss.

Klarer – wie schon erwähnt – ist die Lage im Repräsentantenhaus, das komplett zur Wahl stand. Alle großen TV-Sender und Analyseinstitute prognostizierten eine solide Mehrheit für die Demokraten. Die einflussreiche Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi (80), eine Demokratin, verteidigte in Kalifornien mit Leichtigkeit ihren Sitz. Bei den Republikanern wurde Marjorie Taylor Greene ins Repräsentantenhaus gewählt, die als Unterstützerin der umstrittenen Verschwörungsbewegung QAnon gilt. (Gianluca Wallisch, 4.11.2020)