Dieser Polarfuchs, der mit einem GPS-Sender ausgestattet wurde, hat zwar keine Gans gestohlen, aber ein Gänseei. In der Arktis verschieben sich die Beute-Jäger-Dynamiken.

Foto: D. Berteaux / Université du Québec

In der Arktis ändern sich das Klima und die Umwelt im Vergleich zu allen anderen Regionen der Erde besonders schnell. Jüngstes Beispiel: Als die Besatzung und die Passagiere des atomgetriebenen Eisbrechers "50 Years of Victory" 2018 den Nordpol erreichten, platzierten sie eine Flaschenpost in der Form eines kleinen Metallzylinder im alles andere als ewigen Eis.

Der Zylinder von der Größe einer größeren Thermosflasche enthielt Briefe, Gedichte, Fotografien, Abzeichen, Bierdeckel, eine Speisekarte, Weinkorken – mit anderen Worten: Krimskrams aus dem frühen 21. Jahrhunderts, das in einer mehr oder weniger fernen Zukunft auf den Finder wartet. Diese Zukunft kam ziemlich schnell, wie die britische Zeitung "The Guardian" berichtet. Der Zylinder wurde diese Woche an der Nordwestspitze Irlands gefunden, nachdem er die schätzungsweise 3.700 Kilometer von Nordpol nach Irland gedriftet war.

Hoher Anpassungsdruck

Das war natürlich nur möglich weil das arktische Meereis so schnell schmilzt. Doch auch an Land ändern sich die Verhältnisse mit rekordverdächtiger Geschwindigkeit. Die arktischen Tier- und Pflanzenarten sind daher in ganz besonderer Weise herausgefordert, auf diese neuen Bedingungen zu reagieren und sich anzupassen. Um die Zukunft der Fauna und Flora im hohen Norden besser vorhersagen zu können, sollten wir am besten heute schon wissen, wie diese Anpassungen aussehen.

Doch das herauszufinden ist naturgemäß schwierig. Denn die Region im hohen Norden ist riesig, abgelegen und nur unter viel Aufwand erforschbar. Zudem braucht es erstens langfristige und zweitens arktisweite Daten über möglichst viele Tiergruppen. Allerdings werden vor allem die Wanderungsbewegungen und das Verhalten von Tieren in der Arktis seit langem erforscht, unter anderem auch mittels GPS-Tracking.

Globales Datenarchiv

Bisher war es jedoch schwierig, die Studien dazu ausfindig zu machen und auf sie zuzugreifen. Doch das ändert sich nun, wie ein großes internationales Forscherkonsortium im Fachblatt Science berichtet. Das Team unter der Leitung von Sarah Davidson (Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell) und Gil Bohrer (Ohio State University) hat nämlich ein von der US-Weltraumagentur Nasa finanziertes globales Datenarchiv für Studien zur Tierwanderung in der Arktis und in der Subarktis aufgebaut.

Mithilfe dieses "Arctic Animal Movement Archive" (oder kurz: Movebank) können Wissenschafter erstmals ihr Wissen austauschen und gemeinsam untersuchen, wie Tiere auf eine sich verändernde Arktis reagieren. Wie das geschieht, zeigen beispielhaft drei neue Studien aus dem Archiv, die deutliche Änderungen im Verhalten von Steinadlern, Bären, Karibus, Elchen und Wölfen dokumentieren.

Biologen lassen drei mit Sendern ausgestattete Steinadler frei.
Foto: Hogan Films und Teton Raptor Center

So stellten Wissenschafter beim Vergleich der Migrationsbewegungen von mehr als 100 Steinadlern von 1993 bis 2017 fest, dass junge Adler, die nach milden Wintern nach Norden ziehen, früher in ihren Brutgebieten eintreffen. Dies beeinflusst das Brutgeschäft und das Überleben der Küken.

Eine zweite Untersuchung mit mehr als 900 Karibu-Weibchen aus den Jahren 2000 bis 2017 ergab, dass Herden weiter im Norden früher im Frühling gebären, während sich die Geburten der südlicheren Populationen weniger stark verändert haben.

Ein gerade geborenes Karibu (also ein nordamerikanisches Rentier) in Alaska.
Foto: Karsten Heuer

"Dass wir die Geburten in einem so großen Maßstab über Millionen von Quadratkilometern untersuchen können, ist für eine Tierart in einer so abgelegenen Umgebung wirklich beispiellos", erklärt Elie Gurarie (Universität Maryland) stolz.

Neue Beute-Räuber-Dynamiken

Eine dritte Teilstudie, die sich mit den Wanderungsgeschwindigkeiten von Bären, Karibus, Elchen und Wölfen von 1998 bis 2019 befasst, kommt zu dem Schluss, dass die Arten unterschiedlich auf jahreszeitliche Temperaturen und winterliche Schneebedingungen reagieren. Das wiederum wirkt sich auf den Konkurrenzkampf der Arten und die Räuber-Beute-Dynamik aus.

Zu den Hunderten von Studien, die bereits im Archiv enthalten sind, kommen immer neue hinzu, um Veränderungen im Verhalten der Tiere und im arktischen Ökosystem zu erkennen. Das wiederum ermögliche es, so Sarah Davidson, "das Wildtiermanagement zu verbessern, neue Forschungsfragen zu beantworten und Veränderungen in der Arktis für zukünftige Generationen zu dokumentieren". (tasch, 6.11.2020)