Fragen des STANDARD, beantworten von Fachleuten.

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Wien – Die jüngsten coronabedingten Verschärfungen in Österreich warfen viele Fragen auf – große und kleine. Da ging es auf der einen Seite darum, ob Oma noch besucht werden darf, auf der anderen aber auch um grundlegende Dinge, wie die, ob die neue Verordnung vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) halten wird. Schon vor Monaten hielten viele der Gesetze, die unseren Alltag auf den Kopf stellten, nicht. Bei all dem geht es vor allem um elementare rechtsstaatliche Fragen mit erheblichen Auswirkungen auf Einzelne und die Gesellschaft, wie Nikolaus Forgó in seinem STANDARD-Blog "Minima Digitalia" schreibt. Wird das dieses Mal wieder so enden?

In einer Diskussionsrunde der Universität Wien und des STANDARD sprachen Nikolaus Forgó, Vorstand des Instituts für Innovation und Digitalisierung an der Universität Wien, Franz Merli und Magdalena Pöschl vom Professorin am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien mit dem STANDARD über eine mögliche Krise des Rechtsstaats und darüber, was der Gesetzgeber aus dem ersten Lockdown gelernt hat.

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Department of Innovation and Digitalisation in Law

Die Rolle des VfGH

Der zweite Lockdown war, das wohnt der Sache inne, nicht der erste Lockdown. Und das bedingt auch, dass der Gesetzgeber dazugelernt hat. Nicht zuletzt, weil der VfGH Teile der ersten Verordnungen als gesetzeswidrig anerkannte. Dadurch, dass das passiert sei, hätten aber Antragsteller "das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder bekommen", sagt Pöschl. Denn es sei nicht "selbstverständlich, dass der VfGH auch inhaltlich über die Verordnungen abgesprochen hat". Ein Spezifikum von Krisen-Normen sei nun einmal, dass diese nur kurzfristig gelten. So hätte man eigentlich damit rechnen müssen, dass der VfGH – wie übrigens auch der Bundekanzler – sagen würde: "Dein Problem ist ja schon gelöst, denn die Verordnung gilt ja nicht mehr". Doch da der VfGH auch inhaltlich geprüft habe, sei das maßstabgebend, auch für künftige Verordnungen.

Abgeschmettert vom VfGH wurde allerdings eine Beschwerde von Unternehmern, die sich auf das Epidemiegesetz berufen wollten, das aber kurz vor dem Lockdown außer Kraft gesetzt wurde – eine Argumentation übrigens, wie sie vor allem im Wien-Wahlkampf auch von rechten Parteien oftmals vorgetragen wurde. Merli meint dazu, es sei der Vorwurf entstanden, dass aus dem Rechtanspruch ein Hoffen auf Gnade wurde, wenn es um Entschädigungen ging. Der VfGH jedoch hielt fest, dass das nicht bedeute, dass Hilfen willkürlich verteilt würden. Das sei "eine erfreuliche Klarstellung".

Wo es in der neuen Verordnung hapert

In der aktuellen Verordnung jedoch wimmelt es immer noch von Unklarheiten. Etwa, was den privaten Raum angeht: Wo fängt der an, wo hört der auf, fragen sich viele zurecht, seitdem klar ist, dass es da zu Differenzen zwischen Verordnung und Gesetz kommt. Hinzu kommt, dass es nun zwar erstmals Regeln für den privaten Raum gibt, die Regierung aber schon bei der Verkündung dazusagte, die ohnehin nicht kontrollieren zu wollen. "Das nicht kontrolliert wird, heißt aber nicht, dass es da keine Rechtspflicht gibt", sagt Merli dazu. Außerdem sei klar, dass eine derartige Verordnung nicht komplett engmaschig kontrolliert werden könne. "Es ist oft so, dass man solche Vorschriften macht, um die, Gutwilligen zu stärken", merkt Merli an.

Was Kontrollen angeht, so sei die Lage klar: Das Konzept der Glaubhaftmachung sei kein neues, das gebe es etwa auch im Asylrecht. Und konkret heiße das, der Polizist frage eben, was man da macht. "Und wenn man sagt, man kommt von der Großmutter, dann kann natürlich sein, dass der Polizist sagt: 'Geben Sie mir die Nummer von der Großmutter und dann ruf' ich da an'". Überschießend im ersten Lockdown sei auch nicht gewesen, dass man nach Beweisen gefragt wurde, wenn man draußen war, sondern vielmehr die Interpretation der Normen, meint Pöschl, etwa, wenn man beim Bankerl-Sitzen gestraft wurde.

Der Rechtsstaat lernt

Trotz aller Schwammigkeiten in der aktuellen Verordnung sei diese aber recht klar, meinten Experte und Expertin. Durch Begleitschreiben und Informationen des Gesundheitsministeriums würden nun viele Sachverhalten abgefangen, die im ersten Lockdown noch vollkommen unklar waren, etwa, was das Besuchsrecht innerhalb der Familie angeht. Dennoch: Irgendetwas übersehe der Gesetzgeber auch dieses Mal, meint Pöschl, denn "das Leben ist unendlich vielfältig".

"Wir haben wirklich viel gelernt jetzt", meint Merli mit Blick auf den Verlauf der Pandemie. Es sei "sicher nicht alles perfekt", doch das könne man von einzelnen Regeln nicht erwarten. Natürlich könnten "Kleinigkeiten aufgehoben werden oder als verfassungswidrig festgestellt werden", aber im Kern, "die groben Fehler, die sind jetzt weg". Das zeige, so Merli, dass das Rechtssystem lernen könne. Und das, dank zahlreicher Kontrollmechanismen. Er sehe daher in keine Krise des Rechtsstaats, "sondern ein Beispiel des Funktionieren des Rechtsstaates". Aber ausgestanden habe man nichts – auch rechtlich nicht. (red, 5.11.2020)