Es seien Fehler passiert, meinte Innenminister Nehammer bereits im Rahmen einer Pressekonferenz.

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Im Innenministerium sind Fehler passiert. Das gestand sogar der Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) ein und richtete deshalb eine Untersuchungskommission ein. Diese ist aber nicht die einzige Stelle, die sich der Aufarbeitung nun annehmen kann und wird.

Da geht es einerseits um die Frage, wo Informationen dazu, dass der Täter eigentlich in der Slowakei Munition kaufen wollte und die österreichischen Behörden davon Bescheid hätten wissen sollen, versickert sind. "Es zählt zu den Dienstpflichten des Beamten oder der Beamtin, die mit diesen Informationen konfrontiert sind, sie weiterzugeben", sagt Verfassungs- und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger. Ist das nicht passiert, könnten damit mehrerlei Konsequenzen einhergehen.

Untersuchung auf mehreren Ebenen

Einerseits dienstrechtliche: Kam es zu einer Verletzung der Dienstpflichten, müssen sich Beamte vor einer Disziplinarkommission verantworten. Davon gibt es im BMI einige, der Rechnungshof schrieb erst im vergangenen Dezember, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer im Bundesministerium für Inneres 276,3 Tage betrage.

Abgekoppelt davon sei die strafrechtliche Verantwortung einzelner Beamter, da kann die Staatsanwaltschaft auch selbstständig Ermittlungen einleiten, wenn sie davon Kenntnis erlangt. "Die kann in Betracht kommen", sagt Bußjäger, "da steht etwa die fahrlässige Tötung, die fahrlässige Gemeingefährdung oder die fahrlässige Körperverletzung im Raum." Dass aus der bloßen Dienstrechtsverletzung auch der Verdacht einer strafbaren Handlung resultiere, sei jedoch nicht zwangsläufig so, sagt Bußjäger.

Als dritter Aspekt könnte zudem der Verdacht auf Amtsmissbrauch im Raum stehen. Für diesen Tatbestand braucht es allerdings einen expliziten Vorsatz, einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, es muss also eine wissentlichen Absicht geben. Aus dem Justizministerium heißt es, derzeit gebe es keinen begründeten Anfangsverdacht, dass wegen Informationslücken im Innenministerium im Zusammenhang mit der Terrornacht strafrechtliche Vorwürfe gegen Beamte des Innenministeriums im Raum stehen würden. Die Staatsanwaltschaft ermittle diesbezüglich nicht, auch nicht wegen Amtsmissbrauchs. Das könne sich freilich noch ändern, wenn die Untersuchungskommission neue Informationen ans Licht bringt.

Wurde ein Video weitergegeben?

Ein Nebenschauplatz ist außerdem die Frage, ob ein Polizeibeamter ein Überwachungsvideo aus der Terrornacht abgefilmt und an Medien gespielt hat, das wird derzeit intern geprüft. Wurde das Video tatsächlich weitergegeben, droht ein Disziplinarverfahren. Wann die Prüfung abgeschlossen sein werde, sei nicht absehbar, heißt es bei der Polizei Wien.

Für Bußjäger sei das auch eine Frage der disziplinaren Verantwortlichkeit, "selbstverständlich dürfen solche persönlichen Aufzeichnungen von betroffenen Personen nicht sofort an die Medien weitergegeben werden, ganz abgesehen davon, dass da auch öffentliche Interessen auf dem Spiel stehen". Unter Umständen könne das auch eine Verletzung von Amtsgeheimnissen und damit strafgesetzwidrig sein.

Amtshaftungsklage

Abgesehen von all dem könnten disziplinarrechtliche Verstöße auch eine Amtshaftungsklage auslösen. Der Anwalt Karl Newole bereitet eine solche für Verletzte, Hinterbliebene oder anders durch den Terroranschlag Geschädigte vor. Er hatte durch seine Bürgerinitiative "Wir im Ersten" schnell Kontakte zu Opfern. Für eine Amtshaftung muss, anders als beim Amtsmissbrauch, kein Vorsatz bestanden haben.

Ein Amtshaftungsverfahren richtet sich gegen den Staat, also etwa Bund, Länder, Gemeinden oder Rechtsträger. Vertreten wird der Staat durch die Finanzprokuratur. Zuerst wird Schadenersatz, der hier nur in Form von Geld erfolgen kann, gefordert. Wenn das nach drei Monaten nicht fließt, folgt die Amtshaftungsklage, die von mehreren Personen angestrengt werden kann. Ist sie erfolgreich, wird mit den einzelnen Personen verhandelt, wie viel Geld sie erhalten.

Newole betont, dass der Täter "durch Widerruf der bedingten Entlassung wieder in Haft genommen hätte werden können". Und: "Auch eine U-Haft wegen Tatbegehungsgefahr wäre möglich gewesen, weil der Täter mit dem versuchten Munitionskauf seine Mitgliedschaft zu einer terroristischen Vereinigung, weshalb er ja verurteilt wurde, sozusagen ‚erneuert‘ hat." Hätte man ihn verhaftet, "hätte er diese Tat an diesem Tag nicht vollziehen können". Der Jurist verweist in diesem Zusammenhang auf die Paragraphen 278b, 278 c und 280 Strafgesetzbuch und 50 Waffengesetz.

Die Amtshaftungsklage richtet sich nicht gegen einzelne Beamte. Wenn sie aber erfolgreich war, kann der sich Staat durch ein Organhaftpflichtverfahren das Geld von den Verantwortlichen – zum Beispiel Beamten – zurückholen.

Vor einer Untersuchungskommission "müssen Sie nicht einmal erscheinen oder die Wahrheit sagen", gibt Newole im Gespräch mit dem STANDARD zu bedenken. Ein Amtshaftungsverfahren ist ein ordentliches Zivilrechtsverfahren, sei also "auch im Interesse der Aufklärung", glaubt der Anwalt.

(Gabriele Scherndl, Colette M. Schmidt 6.11.2020)