Zur Verbesserung der Klimasituation fordern viele das rasche Ende des Verbrennungsmotors. Doch man dürfe nicht gegen den Energiewandler zu Felde ziehen, sondern müsse auf den Energieträger fokussieren, auf nachhaltige Energieformen, sagt der Experte für Fahrzeugantriebe an der TU Wien, Bernhard Geringer.

Zur Person: Bernhard Geringer (62) ist promovierter Maschinenbauer
und seit 2002 Vorstand des
Instituts für Fahrzeugantriebe
und Automobiltechnik (IFA) an der
Technischen Universität Wien.
Seit 2019 leitet er auch das jährlich
stattfindende Wiener Motorensymposium, einen der größten Kongresse zum Thema Fahrzeugantriebe weltweit.
Foto: Heribert Corn

Standard: Wie geht es Ihnen in diesen Tagen, da der Alltag aufgrund des Virus so viele Unwägbarkeiten bereithält und die Zukunft des Automobils und der ganzen Autoindustrie so unvorhersehbar ist wie nie zuvor? Gibt es dieser Situation auch etwas Positives abzugewinnen?

Geringer: Natürlich sind wir alle in vielerlei Hinsicht betroffen. Bezüglich Fahrzeug, also Pkw, Fahrrad, einspurige Kraftfahrzeuge, sieht man aber auch, dass man leichter Abstand halten kann und damit eine größere Sicherheit hat. Die Zukunft des Automobils betreffend sehe ich keine direkte Koppelung der Pandemie mit dem CO2-Thema. Es wird immer wieder gerne gesagt, man könne jetzt sofort auf eine neue Technologie umsteigen. Ich habe große Bedenken im Sinne von Kosten und Investitionen. Die Pandemie fordert uns auf der Wirtschaftsseite enorm. Wir müssen froh sein, wenn wir in den kommenden Jahren auf einem ähnlichen Stand sind wie heute.

Standard: Als Sie im Jahr 2002 das Institut von Ihrem Vorgänger Hans-Peter Lenz übernahmen, hieß es "Verbrennungskraftmaschinen und Kraftfahrzeugbau", mittlerweile lautet es auf "Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik". Hatte der Verbrennungsmotor für Sie schon damals ein Ablaufdatum?

Geringer: Die Umbenennung erfolgte 2010 im Zuge einer Neugliederung in der Universität. Aber schon als ich das Institut übernahm, hatten wir ein großes Forschungsprojekt mit Hybridantrieben. Wir haben dann sehr viel mit alternativen Kraftstoffen gearbeitet, in der ersten Phase mit Biokraftstoffen, später dann mit sogenannten E-Fuels, also mit synthetischen Kraftstoffen und den damit nahe verwandten Bio-Kraftstoffen der zweiten Generation. Bei den Elektroantrieben und Wasserstoff-Brennstoffzellen war schon 2004 die erste Welle. Das ist dann abgeebbt, aber es war schon am Ende der Nullerjahre sicher: Es wird künftig nicht nur den Verbrennungsmotor geben.

Standard: Greenpeace will, dass ab 2028 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden und ab 2040 auch keine mehr auf den Straßen fahren. Ist das realistisch, machbar, sinnvoll?

Geringer: Gegenfrage: Was ist das Ziel? Der Verbrennungsmotor hat das Image des Bösen, des Alten, des Negativen. Er stößt Schadstoffe aus und wird mit vielen schlimmen Schlagworten in Verbindung gebracht: Schadstoffe, Stickoxide, Partikel, Kohlenmonoxid. Die Schadstoffe sind zwischenzeitlich bei modernen Motoren auf einem Level, dass sie unkritisch sind. Das Thema ist aber die Energieform, der Energieträger. Was dem Verbrennungsmotor jetzt zu schaffen macht, ist sein fossiler Kraftstoff, dass eben CO2 und Wasserdampf entsteht bei der Verbrennung. Man darf also nicht gegen den Verbrennungsmotor, gegen den Energiewandler, zu Felde ziehen, sondern muss auf den Energieträger fokussieren, auf nachhaltige Energieformen. Wenn Strom aus Kohle gewonnen wird, ist das Elektroauto sogar viel schlechter als ein Verbrennerfahrzeug.

Das Labor beherbergt modernste
Fahrzeugprüfstände und ist auch
gerüstet für die rasant zunehmende Elektrifizierung im Antrieb.
Foto: Heribert Corn

Standard: Autohersteller haben da und dort hinausposaunt, sie hätten die Entwicklung von Verbrennungsmotoren bereits eingestellt. Ein Stimmungstrick aus der PR-Abteilung oder tatsächlich wahr?

Geringer: Das gilt für den europäischen Markt tatsächlich. Die vorhandenen Motoren werden aktualisiert, vor allem im Hinblick auf Verbrauch und Abgase. Das stimmt nicht für den amerikanischen und asiatischen Markt. Wenn man von der Politik massive Auflagen in Form von sehr hohen Strafsteuern bekommt, muss man darauf reagieren. Und das heißt Elektrifizierung, Hybridantrieb, Elektroantrieb.

Standard: Ständig werden von der Politik noch schärfere Abgas- und Verbrauchslimits eingeführt. Kann man diese Ziele überhaupt erreichen, oder ist der politische Zweck ohnehin längst, Strafzahlungen zu lukrieren, um mit dem Geld ganz andere umweltfreundlichere Technologien und Branchen zu fördern?

Geringer: Es ist in Europa eindeutig das Ziel, den batterieelektrischen Antrieb und die Brennstoffzelle massiv zu unterstützen und die anderen so schlecht zu bewerten, dass man davon weggeht. Ich sehe schon eine massive Verschiebung hin zu den elektrischen Antrieben, auch bei den Nutzfahrzeugen. Weltweit ist die Situation aber anders, dort wird der Elektroantrieb nicht dermaßen gepusht.

Standard: Alle sprechen von E-Fuels, flüssigen Kraftstoffen, die aus grünem Wasserstoff und CO2-Abgas hergestellt und im Verbrennungsmotor eingesetzt werden können. Sie haben aber zwei Nachteile: Der Energieaufwand für die Herstellung ist extrem hoch, und die Luftfahrt benötigt sie am dringendsten. Bleibt da überhaupt etwas für das Auto?

Geringer: Die fossilen Brennstoffe sind über Millionen Jahre entstanden. Der Ursprung ist auch die Sonnenenergie. Andere Energieträger müssen wir selbst erst herstellen. Das ist immer mit Verlusten verbunden, hängt also vom Wirkungsgrad des Herstellungsprozesses ab. Weltweit kommen derzeit nur elf Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen, 85 Prozent sind fossil, vier Prozent Kernkraft. Die Mammutaufgabe ist nun, dieses Verhältnis umzudrehen. Einfach nur auf Strom umzusteigen hat überhaupt keinen Sinn. Deshalb dürfen sich die Verbrennungsmotor-Leute auch nicht schlagartig zurückziehen, sondern müssen den Verbrennungsmotor auf nachhaltige Kraftstoffe umstellen, Biokraftstoffe und E-Fuels. Ich sehe die Wasserstoff-Brennstoffzelle auch als sehr wichtigen Aspekt. Aber derzeit wird Wasserstoff fast ausschließlich aus Erdgas gewonnen. Es hat aber auch keinen Sinn zu sagen, es gibt eh keinen grünen Wasserstoff aus Elektrolyse mit Wind- oder Solarstrom, deshalb wäre die Brennstoffzelle kein Lösungsweg. Wir brauchen wirklich alle Alternativen.

Standard: Die andere Alternative: Halten Sie Wasserstoff im Pkw überhaupt für sinnvoll, wo doch das batterieelektrische Auto ohnehin funktioniert und doch etwas einfacher aufgebaut ist?

Geringer: Der Pkw ist ganz eindeutig der bevorzugte Bereich für den batterieelektrischen Antrieb oder Hybrid-Mischformen, etwa Plug-in-Hybrid. Der zentrale Punkt sind immer die Reichweiten. Entscheidend ist, wie sich das Thema Brennstoffzelle bei den Trucks und Fernbussen entwickelt. Für 2025 hat Daimler die ersten serienmäßigen Wasserstoff-Brennstoffzellen-Trucks angekündigt, gemeinsam mit Volvo, auch andere arbeiten intensiv daran. Das kann den Markt schon pushen.

Standard: Noch einmal zu den E-Fuels: Wo wäre nun wirklich der Vorteil von E-Fuels für den Pkw?

Foto: Heribert Corn

Geringer: Es geht darum, CO2-frei zu werden. Wenn ich nur warte, bis alles elektrisch ist, habe ich gar nichts erreicht. Wir haben immerhin zehn bis zwölf Jahre Behaltedauer bei einem Pkw. Bis dieser Bestand ausreichend ausgedünnt ist, sind wir im Jahr 2040 oder gar 2050, auch mit massivem Druck. Und hier ist wieder der Reiz der E-Fuels. Wenn ich sie vernünftig herstellen kann, kann ich mit einem Schlag, also in drei bis vier Jahren, alles umstellen – auch die Versorgungskette samt Tankstellen, weil damit können auch herkömmliche Autos fahren. Es ist auch eine Mengenfrage, man könnte E-Fuels genauso in zunehmendem Maß den herkömmlichen Kraftstoffen beimischen. Das müsste natürlich auch in der CO2-Bilanz und im Flottenverbrauch angerechnet werden. E-Fuels bedeuten im Idealfall null CO2, wenn ich fünfzig Prozent beimische, bedeutet das immerhin eine Halbierung des CO2-Ausstoßes. So gesehen würde ich die E-Fuels nicht komplett aus dem Pkw hinauspushen.

Standard: Das Wiener Motorensymposium, dessen Veranstalter Sie ja sind, war so etwas wie der Kardiologenkongress für Maschinenbauer, ein Gradmesser für die Befindlichkeit der Branche. Seit einigen Jahren wird die Elektrotechnik immer wichtiger. Das Auto gerät immer stärker in die Kritik. Hat das auch die Stimmung dort verändert?

Geringer: Ich sage Ja, vor allem von der Orientierung her. Der Name kommt natürlich ursprünglich vom Verbrennungsmotor, dem Herzstück des Fahrzeugs, auch beim Nutzfahrzeug. Dann kamen zusätzliche Vorträge zur Hybridisierung, und inzwischen ist es so, dass sich zwei Drittel zumindest teilweise mit Elektrifizierung beschäftigen, wenn wir die Hybride dazuzählen. Bei den reinen Verbrennungsthemen geht es meistens um Abgas-Nachbehandlung. Was wir aber immer schon hatten: das Thema Energie im Sinne von Kraftstoffen. Schon in den 80er- und 90er-Jahren Pflanzenöl, Biodiesel, Ethanol, oft auch in Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Inzwischen geht es deutlich in Richtung synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff, CO2-arm bis CO2-frei. Von der reinen Kraftfahrzeugtechnik hat sich das schon in Richtung Elektrotechnik entwickelt, primär Regelungstechnik, Algorithmen, Optimierung der Betriebsstrategien. Es geht jetzt auch um eine künftige Ausrichtung. Wie soll das Symposium sein? Ist es nur ein Antriebssymposium, oder sollen wir auch stärker in Richtung Entwicklungsmethoden, autonomes Fahren und Strategien gehen, etwa Kooperationen bis hin zu Geschäftsmodellen?

Standard: Was ist für Sie persönlich letztlich das Wichtigste, das jetzt getan werden muss, um die Erderhitzung in den Griff zu kriegen?

Geringer: Das Wichtigste ist immer, das Gesamtsystem, also die Gesamtbilanz, zu erfassen, sozusagen von der Wiege bis zur Bahre. Entscheidend ist, auch die Energieherstellung einzubeziehen. Hier sieht es für die Batterieherstellung und den Betrieb von Elektroautos derzeit gar nicht so gut aus, je nachdem, woraus der Strom dafür erzeugt wurde. (Rudolf Skarics, 15.11.2020)