Sabine N. ist Notärztin.
Foto: Berufsrettung Wien

Notärztin: "Da bleibt kurz die Luft weg"

Montagnacht war auch für die Sanitäter und Ärzte ein Novum, eine Herausforderung und ein Schock. Sabine N. ahnte noch nichts von all dem, als sie kurz nach 20 Uhr wegen eines Schusswechsels in der Innenstadt alarmiert wurde. "Das gibt es immer wieder einmal", sagt die Oberärztin, die am Montag leitende Notärztin der Wiener Berufsrettung war. In Erinnerung bleibe ihr nicht nur die schreckliche Tat. "Es zieht mir noch immer eine Gänsehaut auf, wenn ich daran denke, wie stark der Zusammenhalt war."

Als N. bei ihrem Einsatzfahrzeug ankam, habe sie bereits erfahren, dass der Katastrophenzug unterwegs war. "Da war klar, dass wir es nicht mit einer alltäglichen Situation zu tun haben." Ihr Ziel war der Ruprechtsplatz, dort kam die Notärztin aber nie an. "Wenn die Lage gefährlich für uns ist, dann teilt uns die Polizei einen sicheren Ort zu." Das war der Schwedenplatz.

Ganz allgemein habe die Zusammenarbeit mit der Polizei am Montag gut funktioniert. Die Beamten brachten die teilweise schwer verletzten Personen zu N. sowie zu den anderen Ärzten und Sanitätern. Allein von der Berufsrettung waren 150 Notfallsanitäter und Notärzte im Dienst – und auch andere Rettungsorganisationen waren vor Ort. "Es war unglaublich, wie schnell wir ein riesiges Aufgebot aufgestellt haben." Zivile Ärzte hätten Hilfe angeboten, Sanitäter, die nicht im Dienst waren, wollten einrücken.

Beim Einsatz selber sei N. "total fokussiert" gewesen. "Da haben Emotionen keinen Platz." Meistens zumindest. Denn als sie gemerkt habe, dass hier ein Anschlag passiert war, sei sie kurz geschockt gewesen. "Da bleibt einem kurz die Luft weg. Aber dann heißt es: funktionieren. Und das taten wir."

Erst am nächsten Morgen, als sie Videos der Tat gesehen habe, habe sie realisiert, was eigentlich passiert war. "Jetzt wissen wir leider definitiv, dass unser Land vor so etwas nicht gefeit ist und dass es jederzeit passieren kann." Obwohl alles reibungslos abgelaufen sei, will sie vorbereitet sein: "Wir werden unsere Abläufe wie immer analysieren."

Fatih Yagiz ist Taxifahrer.
Foto: privat

Taxifahrer: "Vielleicht war ich dumm"

Eigentlich hatte Fatih Yagiz am Montagabend keinen Dienst. Aber um halb 10 fuhr er trotzdem zum Schwedenplatz, einfach, um zu schauen, sagt er. Da sah er weinende Frauen und die nahm er mit. Er brachte sie nach Hause, und bis halb fünf in der Früh noch viele weitere. Aber nur Frauen und Ältere, sagt Yagiz, "ich sah, dass sie Angst hatten". Manche der Leute hätten für die Fahrt bezahlt, andere nicht.

Irgendwann schickte Yagiz ein_Video an eine Gruppe von Taxifahrern. "Leute, die Menschen im ersten Bezirk haben Angst, und sie kommen nicht nach Hause", sagt er da, "es sind viele Menschen. Und die Dame da im Taxi kann das bestätigen." Schwenk auf die Rückbank, wo eine Frau, recht gefasst, bittet: "Fahren Sie in den ersten Bezirk und holen Sie die Menschen aus dem ersten Bezirk raus." Einige seien gekommen, sagt Yagiz.

Es gibt noch ein Video, man sieht nicht viel, aber hört, wie Yagiz von der Polizei aufgehalten wird. "Kann ich für euch irgendwas machen?", fragt er die Polizisten und bietet ihnen Süßigkeiten an. Immerhin standen sie da schon lang, sagt er heute. Sie lehnten ab.

Während der vielen Fahrten, sagt Yagiz, habe er versucht, Witze zu machen, um die Leute zu beruhigen. Manche hätten auch über den Islam diskutiert. Denen habe er gesagt: "Terror steht in meiner Religion nicht drin."

Was ihm selbst durch den Kopf gegangen ist? 1.000 Sachen und auch nichts: "Irgendwie war mir alles egal, ich hatte kein Gefühl von Angst. Wenn da ein Terrorist mit der Waffe rauskommt, dann überfahr’ ich ihn einfach, dachte ich mir."

Jetzt im Nachhinein, wenn er darüber nachdenkt, was vor wenigen Tagen passiert ist, "dann denke ich, es war schon irgendwie mutig. Aber vielleicht auch dumm." Gerade eben war er am Schwedenplatz, gemeinsam mit anderen Taxifahrern hat er einen Kranz am Tatort abgelegt. Er sei immer noch schockiert, aber das Wichtigste sei nun der Zusammenhalt, um so etwas in Zukunft zu verhindern: "Wien ist eine friedliche Stadt, und wenn dieser Stadt etwas zustößt, dann bin ich sofort da."

Juwan Amir ist Portier im Hotel Wandl.
Foto: Christian Fischer

Portier: "Panik ist ansteckend"

Mit einem Kollegen habe er gerade im Hotel Wandl alles für den bevorstehenden Lockdown vorbereitet, als kurz nach acht Uhr plötzlich rund 20 Menschen in der Lobby standen, erzählt Juwan Amir. "Manche kamen vom Graben, manche vom Salzgries – beide Orte sind nur wenige Meter entfernt", sagt der Portier. "Von ihnen haben wir erfahren, was passiert ist." Dass ein Attentäter unweit des Hotels auf Menschen schießt, habe er bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht mitbekommen.

Manche seien in Panik gewesen, eine Frau besonders, erinnert sich der 32-Jährige an die Nacht des Terroranschlags. "Ich glaube, sie hat eine Panikattacke gehabt, ich habe sie in den Frühstücksraum gebracht und sie beruhigt. Panik ist ansteckend."

Sein Chef habe kurze Zeit später angerufen, habe die Angestellten gebeten, sich um die Menschen zu kümmern und sie zu versorgen. "Wir haben Getränke ausgeschenkt, auch Whisky und Wein", sagt Amir. Jenen, die keine Masken mithatten, habe man welche besorgt, auch Handyaufladekabel. In den sozialen Medien und im Fernsehen habe man den Anschlag weiter verfolgt. "Wir haben die Videos gesehen."

Als klar war, dass die Bevölkerung nicht mehr nach draußen gehen soll, habe man beschlossen, allen Zimmer zu geben – aufs Haus. "Ich wollte allen Räume geben, die auf den Innenhof gehen, damit sie nicht aus den Fenstern schauen." Als ein Reporter, der im Hotel Unterschlupf gefunden hatte, im ORF erzählte, dass das Hotel Menschen gratis übernachten lasse, seien weitere Personen in die Lobby gekommen. "Sie haben erzählt, dass andere Lokale und Hotels sie rausgeschmissen haben, das verstehe ich nicht."

Wie es ihm selbst dabei gegangen ist? "Ich hatte nur Angst, weil eine meiner Schwestern sich nicht gemeldet hat", sagt er. Seit sechs Jahren lebt Amir in Österreich. Damals ist er aus Afrin in Syrien geflüchtet. "Am besten ist, wir geben den Terroristen keine Plattform und keine Chance, uns zu erschrecken und Angst zu machen."

Bis halb neun in der Früh blieb Amir am Dienstag wach und kümmerte sich um die Menschen. Am Morgen gab es für alle Frühstück.

Ernst Albrecht ist Kommandant der Sondereinheit Wega.
Foto: LPD Wien

Wega-Kommandant: "Konzentrier dich!"

Ernst Albrecht ist Kommandant der Sondereinheit Wega. Als die ersten Schüsse fielen, war er gerade "unmittelbar am Weg in die Freizeit", wie er es formuliert. Er zog seine Uniform wieder an und drehte um. Gegen halb neun war er in der Seitenstettengasse, gegen halb sechs war der Einsatz vorbei. Bis dahin seien er und die Kollegen "durchmarschiert", wie er es nennt.

Als Albrecht eintraf, war der Attentäter tot. Doch er wusste nicht, was wir heute wissen: dass er alleine war. Augenzeugen sagten das Gegenteil aus, in zahlreichen Anrufen wurden weitere Schüsse, sogar Geiselnahmen gemeldet, das nährte die Befürchtung zusätzlich. Zu Beginn sei nicht einmal klar gewesen, ob es sich um einen Terroranschlag oder Amoklauf handelte. "Die Funksprüche verdichteten allerdings die Befürchtung, dass es sich dabei um ein Active-Shooter-Szenario handeln könnte", sagt Albrecht. Als dann weiter von schwer verletzten Passanten und Zufallsopfern die Rede war und man wusste, dass der Täter eine Militärwaffe und einen vermeintlichen Sprengstoffgürtel dabei hatte, "war eigentlich klar, dass die Befürchtung sich bewahrheitet hat".

Mit dem ersten Notruf begannen die Rädchen der Einsatzeinheit ineinanderzugreifen. Wie seine Leute einschritten, das beschreibt Albrecht heute als "Schulbeispiel": Sie lokalisierten und erschossen den Täter in nur wenigen Minuten, "rasch und zielorientiert", nennt Albrecht das.

Was ihm selbst in dieser Nacht durch den Kopf ging? "Um ehrlich zu sein, in der Akutsituation kommt man nicht viel zum Denken, das passiert erst, wenn sich der erste Rauch gelegt hat", sagt Albrecht. Bis dahin funktioniere man automatisch. "Wenn dann Pausen eintreten, dann kommt einem alles Mögliche in den Sinn. Von Ungläubigkeit, über ‚Eigentlich hätte man damit rechnen müssen, nachdem es ja in fast ganz Europa passiert ist‘, bis zur Sorge, die Situation nicht in den Griff zu bekommen, weitere Menschenleben zu verlieren." Diese Gedanken aber müsse man – so menschlich sie sein mögen – wegwischen: "Da kommt dann ein innerliches ‚Aus jetzt – konzentrier dich!‘." (Lara Hagen, Oona Kroisleitner, Gabriele Scherndl, 7.11.2020)