Müssen nach den Oberstufenklassen auch die Jüngeren auf Distance-Learning wechseln?

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Donnerstag ist Prüfungstag

Erst kommenden Donnerstag soll neu bewertet werden, da sind sich eigentlich alle einig. Vorher würden weitere Verschärfungen keinen Sinn machen, die aktuell geltenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie müssten erst einmal Zeit haben zu wirken, sagen Regierung wie Experten. Und was allgemein gilt, gilt natürlich auch für die Schulen – allen Gerüchten über knapp bevorstehende Schließungen im Pflichtschulbereich zum Trotz.

Sicherheitshalber hat sich Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) dieses Vorgehen von der Corona-Kommission einstimmig absegnen lassen. In dem Papier, das dem Standard vorliegt, wird betont, dass neben dem Beitrag von Virologen und Epidemiologen auch andere Experten, etwa Soziologen oder Psychologen, miteinbezogen werden sollen. Und: Erst darauf aufbauend sollten "Empfehlungen bezüglich der weiteren Vorgangsweise im Schulbereich" verabschiedet und abgewogen werden, "ob weitere Schulschließungen für notwendig und vertretbar erachtet werden".

Auch aktuelle Zahlen zum Infektionsgeschehen an den Schulen wurden mitgeliefert: Von rund 30.000 getesteten Kindern und Jugendlichen waren 1,4 Prozent der Volksschüler, 3,6 Prozent in der AHS-Unterstufe und an den Mittelschulen positiv. Bei den 15- bis 19-Jährigen stieg die Zahl auf 6,8 Prozent.

Für

Israel hat eine – ihren Erfahrungen nach – klare Sicht auf die Problematik: Schulen hätten sich entgegen allen Erwartungen doch als Brutstätten der Pandemie erwiesen. Experten gehen davon aus, dass die Schulöffnungen nach dem ersten Lockdown direkt in den zweiten Shutdown geführt hätten.

Die Public-Health-Wissenschafterin Ronit Calderon-Margalit etwa hatte den Unterricht in israelischen Schulen in der New York Times als "ideale Voraussetzung" für einen Ausbruch bezeichnet.

Der Computerbiologe am Weizmann Institute of Science, Eran Segal, einer der führenden Covid-19-Statistiker Israels, empfahl via Twitter, auf Schulöffnungen zu verzichten, wenn die Fallzahlen und Infektionsraten generell stark ansteigen. Schulöffnungen würden die Pandemie nur noch mehr verstärken.

Gefahr für Ältere

Der Schulbetrieb sei ohnehin ineffektiv, wenn viele Kinder und Lehrer in Quarantäne müssten. Eran Segal machte zudem auf eine "Gesetzmäßigkeit" aufmerksam: Der Ausbruch von Corona bei jüngeren Bevölkerungsgruppen werde "unvermeidlicherweise" innerhalb weniger Wochen auch ältere Bevölkerungsgruppen erreichen.

In Israel wurden jedenfalls die Schulen nach dem ersten Lockdown Mitte Mai wieder geöffnet. Nach und nach wurde den Kindern gestattet, ihre Masken abzulegen, und auch die Fenster in den Klassenräumen durften wieder geschlossen werden. Die Schulen kehrten schließlich vollends zum alten Regelbetrieb zurück. Plötzlich begannen die Fallzahlen wieder zu steigen.

Grafiken zeigten einen massiven Anstieg der Corona-Fälle in Israel seit den Schulöffnungen. Man entschloss sich schließlich, die Schulen und Kitas wieder komplett zu schließen, da hier eben die Hauptursache des neuerlichen Ausbruchs vermutet wurde.

Ein Forscherteam um den Statistiker Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) untersuchte, welche Maßnahmen zur Eindämmung des Virus führen. Dabei kamen sie zu einem "israelischen" Ergebnis: "Unsere Ergebnisse sind klar, Schulschließungen sind sehr wirksam", sagte Klimek dem Nachrichtenmagazin Spiegel.

"Ich sage das nicht leicht fertig, ich habe selbst zwei Kinder, ich war selbst von der Mehrbelastung betroffen", fügte Klimek hinzu."

Vorteil Homeschooling

Statistiker Klimek gab auch zu bedenken, dass die sinkenden Infektionszahlen im Zuge der Schulschließungen auch dadurch beeinflusst sein könnten, dass "Eltern für das Homeschooling mehr zu Hause bleiben mussten, weniger Gelegenheit hatten, sich unterwegs oder bei der Arbeit anzustecken.

Das Wiener CSH weist in diesem Zusammenhang auf eine Studie aus den USA hin, zeigt, wonach Kinder eine höhere Viruslast hätten als bisher angenommen. Bei Kindern unter fünf Jahren fanden die Forscherinnen und Forscher mehr virale Nukleinsäure in den oberen Atemwegen als bei Erwachsenen.

Der deutsche Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) schrieb dazu auf Twitter: "Kita-Kinder wurden bisher selten genau untersucht. Sie galten als ungefährlich. Die Studie widerlegt das leider sehr klar."

Und schließlich – eine Studie in einem US-Sommercamp kam ebenfalls zum Schluss: Kinder jedes Alters können sich mit dem Covid-19-Erreger infizieren und eine "wichtige Rolle" bei der Übertragung spielen.

Wider

"Stay on the message", das hat sich der Bildungsminister anscheinend von ÖVP-Parteichef und Kanzler Sebastian Kurz abgeschaut. Schulen und Kindergärten würden eine völlig untergeordnete Rolle bei der Verbreitung des Virus spielen, trommelt Heinz Faßmann also seit Monaten. Und er lässt sich auch von Studienergebnissen, die dieser Sicht der Dinge zumindest kritische Zwischentöne beimengen (s. "Für"), kaum aus dem Takt bringen.

Das erledigen andere: Mit den stark steigenden Infektionszahlen der vergangenen Wochen ging es dann plötzlich schnell. Die Oberstufenklassen lernen seit Dienstag schon daheim.

Wie es mit den Pflichtschulen weitergeht, soll kommende Woche entschieden werden (s. oben) – vorausgesetzt, die Lage im Schulbereich ändert sich nicht dramatisch. Da könne man nämlich auch "kurzfristig" eingreifen, erklärte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Freitag.

Mehr als Gesundheit

Doch der Bildungsminister ist nicht allein. Sämtliche Länderchefs, die Bildungsdirektionen sowieso, die gesamte Opposition, Interessenverbände von Arbeiterkammer bis Industriellenvereinigung, sie alle vertreten die Meinung: Die Schulen müssen offen bleiben. Einige mit dem Zusatz: so lange wie vertretbar.

Die Erfahrungen aus dem letzten Lockdown hätten gezeigt: Zu viele Kinder und Jugendliche verlieren beim Distance-Learning den Anschluss. Eine nicht geringe Zahl ist für die Lehrkräfte ohne persönlichen Kontakt überhaupt nicht mehr erreichbar.

Zum Wissensverlust kommen psychische Belastungen. All dies ziehe Langzeitfolgen nach sich, etwa was die künftigen Chancen der jungen Menschen am Arbeitsmarkt anlangt.

Auch aus virologischer Sicht lässt sich das Offenhalten der Schulen argumentieren, zumindest für jene, die jünger als 13 Jahre sind. Je jünger die Kinder, desto geringer ihre "Rolle bei der Multiplikation des Virus", hat etwa Monika Redlberger-Fritz von der Med-Uni Wien im STANDARD erklärt.

Aber auch für die Älteren könne es sinnvoll sein, den Unterricht in immer gleichen Gruppen aufrecht zu erhalten, so die Virologin, denn: "Nur weil Jugendliche nicht in der Schule sind, heißt das noch nicht, dass sie einander nicht treffen."

Zwischenschritte

Bis auf weiteres erklärt auch die Sprecherin der Corona-Kommission, Daniela Schmid, dass es keine zunehmende Übertragungsaktivität zwischen den Schülern gebe. Schulcluster bei Zehn- bis 14-Jährigen seien über die Erwachsenen in die Schulen hineingetragen worden.

Auch den Wunsch nach Zwischenschritten gibt es, sprich: kleinere Gruppen, verteilt auf mehr Räume (etwa jene Klassen, die sich bereits im Distance-Learning befinden), Lernen im Schichtbetrieb, eine bessere Ausrüstung der Lehrkräfte, für die erst jetzt ein Großkontingent an FFP2-Masken bestellt wurde.

Doch die besten Vorkehrungen an den und für die Schulen helfen nichts, wenn rundherum alles entgleist. Entsprechend vehement warnt etwa der Salzburger Bildungsdirektor Rudolf Mair: "Wenn die Disziplin in der Gesellschaft nicht da ist, wird das auch Auswirkungen auf unsere Schulen haben."

Und dafür hätte Mair dann wenig Verständnis: "Wir kämpfen und reißen uns den Hintern auf, dass wir den Unterricht so gut wie geht aufrechterhalten können, und dann muss man mit anschauen, wie undiszipliniert sich viele Leute verhalten." (Walter Müller, Karin Riss, 7.11.2020)