Während Bidens Anhänger vor dem Weißen Haus gelassen bleiben (Bild), herrscht bei Trump-Fans in Arizona, wo das Rennen besonders knapp ist, große Anspannung.

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Dafür dass gerade die letzten Briefwahlstimmen ausgezählt werden, geht es am Gitter vorm Weißen Haus erstaunlich entspannt zu. Aus einem Lautsprecher dröhnt Bob Marley. Ein älterer Herr, der Stadtrundfahrten anbietet, hat ein Schild aufgestellt: Man möge bitte nett zueinander sein. Es sind höchstens siebzig Menschen, die sich an dem Abend, an dem Donald Trump seine erste Pressekonferenz nach der Wahl gibt, am Rand des Parks versammelt haben. Einige tanzen nach Marleys Klängen, die Stimmung lässt eher an ein Reggae-Festival als an eine Nervenschlacht denken. Keine Spur von den zornigen Aktivisten, von denen der Präsident so oft spricht.

Es gab Zeiten, da konnte man ohne Hindernisse durch den Park gehen. Seit ein weißer Polizist den Schwarzen George Floyd tötete und eine Protestwelle durchs Land rollte, ist es damit vorbei. In den Tagen vor dem Votum sind noch ein paar Zäune und Betonbarrieren hinzugekommen, das Weiße Haus erinnert an eine Festung. Ein Präsident, der sich einmauert – irgendwie passend.

Monolog ohne Realitätsbezug

An diesem Donnerstagabend, gegen 19 Uhr Washingtoner Zeit, kann man einmal mehr erleben, wie er die Wahrheit verbiegt. Da begibt sich Donald Trump zum ersten Mal seit der Wahlnacht in den Presseraum des Weißen Hauses, wo er einen Monolog hält. Er spricht von legalen und illegalen Stimmen und davon, dass massiv betrogen werde: "Wenn Sie die legalen Stimmen zählen, gewinne ich mit Leichtigkeit. Wenn Sie die illegalen Stimmen zählen, können sie versuchen, uns die Wahl zu stehlen."

Der Sender MSNBC, der Pressekonferenzen des Präsidenten meist von Anfang bis Ende zeigt, beendet die Übertragung schon nach den ersten Sätzen. Man habe keine Unwahrheiten verbreiten wollen, heißt es zur Begründung. ABC News zieht nach fünf Minuten den Stecker.

Warnhinweis auf Twitter

CNN-Faktenchecker Daniel Dale spricht von der unehrlichsten Rede, die der Staatschef seit Beginn seiner Amtszeit gehalten habe. Und als auf Trumps Twitter-Account ein Mitschnitt der Schlüsselpassagen auftaucht, wird dieser von dem Kurznachrichtendienst mit einem Warnhinweis versehen: "Einige oder alle der Inhalte, die in diesem Tweet geteilt werden, sind umstritten und möglicherweise irreführend in Bezug auf die Beteiligung an einer Wahl oder einem anderen staatsbürgerlichen Prozess."

Draußen am Gitterzaun, maximal eine Fußminute vom Weißen Haus entfernt, hat die Jusstudentin Abigail Corley aus Atlanta am Smartphone live zugeschaut. Schon mit dem Joe-Biden-Porträt auf ihrem T-Shirt macht sie deutlich, wo sie steht. Die amerikanische Demokratie, sagt sie, sei zu stark, als dass sich ein Egozentriker über alle Regeln hinwegsetzen könne. "Trump wird die Stimmenauszählung nicht stoppen. Nicht in unserem Land. Das sind alles nur Worte. Er ist einfach wütend." Was der Mann unter illegalen Stimmen verstehe, schiebt die angehende Juristin hinterher, das könne sie ganz einfach erklären. "Es sind die Stimmen, die ihm nicht passen."

"Letzte Chance verpasst"

Trump sei scheinheilig, Scheinheiligkeit sei schon immer seine Masche gewesen, wirft Mark Holman ein, ein Mittvierziger aus West Virginia. "Aber jetzt faselt er nur noch dummes Zeug." So ruhig wie Holman das sagt, klingt es mehr nach Mitleid als nach Protest.

Spitzenanwalt George Conway sieht es genauso, man kann es am Freitag in einem Gastbeitrag für die Washington Post nachlesen. Am Ende erreiche Trump, wenn er verwirrt von Betrug spreche, nur eines: "Er wird seine letzte und beste Chance verpasst haben, zu zeigen, dass er in der Lage ist, die Wahrheit zuzugeben."

George Conway ist mit Kellyanne Conway verheiratet, einer schlagfertigen Frau, die bis kurz vor der Wahl so etwas wie die Spin-Meisterin des Weißen Hauses war, stets bereit, den Präsidenten zu verteidigen. Er ist Republikaner, berät das Lincoln Project, eine Initiative ehemaliger republikanischer Wahlkampfstrategen, die beißend ironische Werbespots produzierten, um vor der Wiederwahl Trumps zu warnen.

Farbe bekennen

Jeff Flake, bis vor zwei Jahren republikanischer Senator, einer von wenigen in der "Grand Old Party", die es bisher wagten, Trump offen zu kritisieren, ruft seine Parteifreunde auf, endlich Farbe zu bekennen. Sie müssten aus der Deckung kommen, bevor den Institutionen geschadet werde, fordert er in einem Tweet. "Die Zeit ist jetzt."

Mitch McConnell, Nummer eins im Senat, hält sich am Freitag noch alle Optionen offen. "In unserem großartigen Land funktioniert es so: Jede legale Stimme sollte gezählt werden, jede illegal abgegebene Stimme darf nicht gezählt werden", twittert er. "Und die Gerichte sind dazu da, Streitigkeiten zu regeln."

Wie aber Trump-Loyalisten die Sache sehen, kann man bei Tommy Tuberville nachlesen, einem früheren Football-Trainer, der am Dienstag eine Senatswahl in Alabama gewann. Das Zählen gerate völlig außer Kontrolle, schreibt er. "Es ist, als wäre das Match abgepfiffen worden, als wären die Spieler nach Hause gegangen, und nun gibt der Schiedsrichter der anderen Mannschaft plötzlich noch ein paar Punkte."

Kein Schlaf vorgesehen

Bei MSNBC, dem Lieblingssender linksliberaler Amerikaner, kann man Steve Kornacki bei der Arbeit zuschauen. Selbst dann, wenn er nicht auf Sendung ist. Es gibt eine "Kornacki- Cam", unten rechts eingeblendet, die ununterbrochen auf ihn gerichtet ist. Kornacki ist Kult, was auch daran liegt, dass er immer weitermacht, seit Dienstagabend schon, mit nur kurzen Pausen dazwischen, ohne Ermüdungserscheinungen erkennen zu lassen. "Vergesst das mit dem Schlafen", twittert er. Kornacki, so kann man sagen, ist der Anker im Sturm.

Wenn er auf Sendung ist, tippt er auf einen Computermonitor von beeindruckenden Ausmaßen, tippt auf Bundesstaaten und Countys, in denen noch Stimmen ausstehen. Maricopa County, Arizona. Fulton County, Georgia. Bucks County, Pennsylvania. Bei Kornacki kann man in Echtzeit verfolgen, wie Joe Bidens Vorsprung in Arizona dahinschmilzt, je mehr Stimmen ausgezählt werden, während er den Rückstand in Georgia und Pennsylvania verkürzt, dann auch wettmacht und Trump schließlich überholt. (Frank Herrmann aus Washington, 6.11.2020)