Man weiß, dass Terror gesehen werden will. Man weiß, dass sich Bilder vom Terror rasend schnell verbreiten, von Kindern und Jugendlichen gesehen werden, traumatisieren, und so weiter.

Der österreichische Presserat, zum Beispiel, trifft deshalb zum Persönlichkeitsschutz von Opfern sehr klare Aussagen. Im Ehrenkodex des Presserats steht beispielsweise: "Auf die Anonymitätsinteressen von Unfall- und Verbrechensopfern ist besonders zu achten."

Nur: Manchen und manchmal ist das anscheinend egal. Unmittelbar nach dem Terroranschlag am Montag waren Opfer des terroristischen Verbrechens zu sehen. Nicht in den schmutzigen Ecken des Internets, sondern riesengroß und in blutiger Farbe in den Webauftritten mancher der bekanntesten und weitestverbreiteten österreichischen Medienunternehmen. Von dort haben sie sich, vermutlich hunderttausendfach, verbreitet, auch und gerade auf die Smartphones von Kindern und Jugendlichen, die durch das Geschehen noch mehr terrorisiert waren als ihre Eltern.

Petitionen fordern ein Ende der Medienförderung für oe24.
Foto: fidler

38 Cent pro oe24.at-User

Für manche der "Zwangszuseherinnen und -zuseher" war das wohl zu viel. Gleich zwei Petitionen wurden lanciert. Die eine fordert: "OE24 muss zur Verantwortung gezogen werden". Die andere: "Einstellung aller öffentlicher Förderungen für oe24 und Reformierung der Medienförderung". An die 10.000 Unterstützerinnen und Unterstützer hat die eine, an die 75.000 die andere rasch gefunden.

Stellen wir uns, gedankenspielartig, vor, wir würden erwägen, die Petition(en) zu unterschreiben und wollten uns genauer zum Thema informieren.

Da wird eine Studie von Medienhaus Wien, die am 5.11.2020 präsentiert wurde, besonders interessant: Ihr Gegenstand sind Medienkooperationen der österreichischen Bundesministerien mit österreichischen Tageszeitungen 2018/2019. Ihr Ergebnis ist wenig überraschend: je boulevardesker desto mehr Geld - und zwar nicht nur absolut, sondern auch relativ, gemessen am Preis pro Kontakt: oe24.at erzielte im Untersuchungszeitraum laut Studie zum Beispiel online einen Preis von 38 Cent pro User, der STANDARD fünf Cent. In der Studie heißt es auch "Für das Portal der Mediengruppe Österreich wurde von Regierungsstellen je UserIn aber fast zehnmal so viel Werbebudget eingesetzt als für jede/n NutzerIn des etwa gleich reichweitenstarken Kurier-Onlinediensts." 

Händisches Befüllen

Darüber ist - zu Recht - viel geschrieben worden, auch im STANDARD. Ein Aspekt der Diskussion verdient hier nähere Beachtung:

Was ist eigentlich die gesetzliche Grundlage dafür, dass das Medienhaus überhaupt Daten auswerten kann? Es ist das Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetz (MedKF-TG) - auch hier gilt: Schlechte Gesetze erkennt man oft schon am Namen. In den Materialien zur Regierungsvorlage dieses Gesetzes kann man nachlesen, dass der Normgeber im Jahr 2011 sichtlich von dem händischen Befüllen von Excel-Tabellen und dem manuellen Übertragen dieser Werte über ein "elektronisches Web-Interface" (als gäbe es "nicht elektronische Web-Interfaces") zum Zwecke der Herstellung der gewünschten Transparenz ausgegangen ist. Uns wird vorgerechnet (Hervorhebungen nicht im Original):

"Die Berechnung der Gesamtsumme der Aufträge an ein bestimmtes Medium [durch den verpflichteten Rechtsträger] kann unter Verwendung von Excel-Tabellen ein automatisches Berechnungsprogramm übernehmen, sodass hierfür keine weitere Zeit
zu veranschlagen ist, weil sich immer mit der jüngsten Eingabe der Gesamtwert automatisch aktualisieren lässt. Daraus ergibt sich für die Eingabe ein Zeitaufwand von 5 Minuten pro Woche.  [...] Schließlich wird von einem Zeitaufwand von einer Stunde (pro Halbjahr) für die Eingabe der so aggregierten Daten im elektronischen Web-Interface ausgegangen, für den wiederum zu veranschlagen ist, dass im Wege des Copy and Paste Verfahrens die Daten leicht eingetragen werden können."

Das war 2011. Zehn Jahre später kann man auf der Webseite der mit der Führung der Datenbank betrauten KommAustria selbst schon die Liste der verpflichteten Rechtsträger nicht finden, sondern wird dazu auf eine Seite des Rechungshofs verwiesen.

Dort findet man eine CSV-Datei und den Hinweis: "Ziel der Regelungen ist, sämtliche Ausgaben, die Rechtsträger für Inserate, die Förderung an Medieninhaber und für Medienkooperationen aufwenden, zu veröffentlichen. Dafür ist die KommAustria zuständig." Also zurück zur KommAustria.

Die KommAustria wiederum führt aus "In den Listen sind die Rechtsträger, die Meldungen vorgenommen haben, alphabetisch aufgelistet. [...] Die von Seiten der einzelnen Rechtsträger über die Webschnittstelle bekanntgegebenen Daten bzw. Leermeldungen sind unmittelbar wiedergegeben."

Wir lernen also: Auch 2020 werden Daten manuell (?) in Listen eingetragen, (manuell?) über eine Webschnittstelle übertragen und dann "unmittelbar" - will wohl heißen: ungeprüft - wiedergegeben - in alphabetischer Reihenfolge. Das Ergebnis sieht dann zum Beispiel für das erste Quartal 2020 auf Seite 1 so aus:

Foto: rtr.at

Das Dokument hat 351 Seiten (für ein Quartal); auf den ersten 12 Seiten steht: nichts. Das ist insoweit kein Wunder als - geschätzt, ich habe nicht nachgezählt - auf gut der Hälfte der Seiten nichts steht - und auf anderen manchmal ausschließlich die Information, dass zum Beispiel die "Kulturpark Traun GmbH" 5.039,99 € an "Tips" [?!] bezahlt hat.

Man findet bei Volltextsuche etwa "www.google.com", neben "www.google.at" und "Google Play App", "www.youtube.at" neben "www.youtube.com", "www.facebook.com" neben "Facebook App", und "www.facebook.at", "www.instagram.com" neben "www.instagram.at" und "Instagram APP" (hier APP in Großbuchstaben), usw. Wer die vielleicht naheliegende Frage, wie viel Geld in den letzten Jahren an "Plattformen" geflossen ist, selbst beantworten möchte, ist nachhaltig zunächst mit (manueller) Datenvalidierung beschäftigt. Auf 351 Seiten pro Quartal.

Das gilt natürlich - erst recht - für große Medienhäuser: Die genannte Studie des Medienhaus Wien berichtet etwa: "Ein großes Medienhaus wie die Mediengruppe Österreich bringt es für seine tagesaktuellen Print- und Online-Titel bzw. darin integrierte Supplements, die allenfalls die Inseratenkosten gesondert fakturieren, auf zehn Namensversionen als Träger von Inseraten, die alle im selben tagesaktuellen Printprodukt oder dessen Online-Kanal publiziert sind. Öffentliche Zahlungen von Ministerien erfolgten dann zuletzt etwa an  „Österreich“, „Österreich – oe24“, „Österreich mit Madonna“, „Madonna mit Österreich“, www.oe24.at oder „Österreich AM SONNTAG“."

Was soll man mit einem solchen Datensatz anfangen?

Wichtiger noch: In § 3 Abs. 6 Satz 1 Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetz liest man: "Die veröffentlichten personenbezogenen und nicht personenbezogenen Daten eines Kalenderjahres sind von der KommAustria jeweils zwei Jahre nach deren erstmaliger Veröffentlichung von der Website zu löschen. "

Warum?

Die Gesetzesbegründung erklärt diesen seit 2011 unveränderten Zustand wie folgt: "Vorgesehen ist auch, dass die Daten nach Ablauf von 2 Jahren ab ihrer Veröffentlichung gelöscht werden, weil nach dieser Zeit auch kein spezifisches Interesse zu erkennen ist, das eine weitere Veröffentlichung rechtfertigt."

Zusammengefasst: Wer, bevor oder nachdem er oder sie die genannte Petition unterschreibt, wissen will, wie stark ein bestimmtes Medienunternehmen im letzten Jahrzehnt gefördert wurde, findet dazu keine authentischen Daten vor 2018, bekommt ausgerichtet, daran bestünde auch kein schützenswertes Interesse und kann zwischen zehn unterschiedlichen Schreibweisen, nach denen gesucht werden kann, wählen.

Honi soit qui mal y pense, ein Schelm, wer Böses dabei denkt. (Nikolaus Forgó, 10.11.2020)

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