Peter Kruder und Richard Dorfmeister: "Das High, auf dem es war, haben wir bald bewusst abgedreht. Somit ist das High stehen geblieben für immer."

Foto: Andreas H. Bitesnitch

Vor exakt einem Vierteljahrhundert hätte dieses Album ursprünglich erscheinen sollen. Aufgrund des damaligen und bis heute anhaltenden Welterfolgs und der vielen Termine ist es nie veröffentlicht worden. Die Bänder verschwanden im Archiv. Es passt zum Zeitgefühl des Wiener DJ-Duos Kruder & Dorfmeister, dass es nun mit ein wenig Verspätung auf den Markt kommt. Die Tracks von 1995 klingen dennoch frisch und knackig.

STANDARD: Wie kommt es, dass Sie jetzt erst nach dem Welterfolg der "DJ-Kicks"-Kompilation von 1996 und der "K&D Sessions" von 1998 dieses späte Debütalbum veröffentlichen?

Dorfmeister: Die offizielle Story ist: Nachdem wir zwei Jahre auf Tour waren, sind wir wieder zusammengesessen und haben aus einer alten Listening-Session diese White-Label-Pressung herausgezogen und sie seit Jahren wieder mal angehört. Wir haben uns gedacht, das klingt irgendwie zeitgemäß. Wir haben uns durchgerungen nach einem ziemlich großen technischen Hin und Her … Es scheint aktuell zu sein, denn wir hätten es vor fünf Jahren nicht gemacht – und dann in fünf Jahren auch nicht. Es ist wirklich ein guter Zeitausschnitt, der 26, 27 Jahre alt ist. Jetzt fühlt es sich richtig an.

STANDARD: Sie haben in den frühen 1990er-Jahren eine Schule mitbegründet, die in Wien eine Zeitlang als "Kruder-und-Dorfscheißerei" bezeichnet wurde. Die ist dann so ins Rokokohafte abgedriftet, mit weichen Jazzrock-Fusion- und Wohlfühlsounds für Kaffeehäuser. Wenn man aber Ihr Album hört, merkt man, es klingt erstaunlich frisch. Minimalistisch, knackig. Haben Sie etwas Neues zu den Bändern hinzugefügt?

Kruder: Nein, das sind alles Originalsachen, aus vier Versionen zusammenediert. Aus rein technischen Gründen, die langweilig zu erzählen sind. Wir haben uns schnell entschlossen, nichts Neues dazu zu machen, weil das ins Endlose führen würde. Es hätte diesen Originalzustand verwässert, also den ursprünglichen Charme und das Gefühl, das dir die Musik gibt. Das ist ein gewisser Sound, der damals nur mit diesen alten elektronischen Kastln möglich war und heute nicht mehr möglich ist, weil niemand mehr diese Geräte verwendet.

Kruder & Dorfmeister

STANDARD: Die Gefahr ist groß, dass man, wenn man etwas nach 25 Jahren "neu" veröffentlicht, auf Oldies-Tournee geht.

Kruder: Wir hätten es nicht veröffentlicht, wenn wir nicht das Gefühl gehabt hätten, dass das doch ganz fresh klingt. Ein aufgewärmtes Ding hätten wir sicher nicht gemacht. Wir waren aktuell drei Jahre auf Tour, alles ausverkauft. Es gibt keine Notwendigkeit, etwas Neues zu releasen. Von dem, was wir beim Livespielen machen, ist der Erfolg da, und es gibt keine Pressure. In unserem Umfeld sind die Jungs, mit denen wir das aktuelle Video zum Track "Johnson" gemacht haben, alle Anfang 20. Die haben das Album gehört und es total gefeiert, weil das für sie vollkommen neu ist. Man kennt die Musik von früher, aber dass jetzt so etwas so releast wird, war ein super Flash für die.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, dass das Publikum mit Ihnen älter wird, oder gibt es eine Durchmischung?

Kruder: Das kommt ganz auf das Land an. In England ist es total durchmischt, weil die Musikkultur dort forschender ist. Die jungen Leute interessieren sich total für das, was passiert ist. In Berlin sind auch mehr junge Leute, in Hamburg sind sie mehr so in unserem Alter. Da wir unter unserem Namen zwei Jahrzehnte lang keine neue Musik releast haben, ist der Andrang unter jungen Menschen nicht so, wie wenn du dauernd veröffentlichst oder dir ein neues Publikum schaffst. Es ist gut durchmischt, wir haben auch Kids von den Eltern, die damit früher groß geworden sind. Aber all das macht mir keine Angst, wir kommen ja aus den Clubs, und da sind halt jetzt die 20-Jährigen.

Dorfmeister: Wir nehmen das nicht so genau.

Kruder: Wir können damit umgehen, wir machen das seit dreißig Jahren.

Dorfmeister: Das Einzige, das sich geändert hat, ist die Playtime. Wir haben unsere Spielzeit konzerthaft nach vor gerückt, weil Leute in unserem Alter … Also ich selbst habe kein Interesse daran, bis drei in der Früh zu warten, dass da endlich jemand anfängt.

STANDARD: Die Jugend hat sich nach hinten verschoben, die Beginnzeit nach vorne.

Kruder und Dorfmeister: Exactly!

Dorfmeister: Das Phänomen, dass die Kids kommen und sagen, eure Platte war in der Sammlung vom Papa, haben wir vor zehn, fünfzehn Jahren auch schon gehabt: Ich finde das geil, was soll es. Ich mach mir sicher keine Sorgen, dass unser Publikum zu alt ist.

Marginalis

STANDARD: Gut gealterte Sachen bedeuten ja, dass sie nicht alt klingen. Sie könnten auch heuer entstanden sein, was ja selten ist bei Clubmusik.

Kruder: Wir wollten immer Classics machen. "Just Killers, no Fillers". Durch unsere Art, wie wir Musik angehen, hat sich das so ergeben. Wir arbeiten nicht "modern".

STANDARD: Apropos Klassiker und Zeit, in Ihrer Presseaussendung kommt das Wort "rauchen" ziemlich oft vor. Hat das auch mit dem Tempo zu tun? Wie wichtig sind für diese Form der Musik die verlangsamenden Sachen?

Dorfmeister: Damals war das sicher wichtig. Das war Teil der Inspiration und des Umfelds. Ohne das groß zu hinterfragen war das so und hat sich dann aufgelöst. Zuerst war es gut. Dann war es zu viel. Es kommt auf die Dosis an. Und als es keine Inspiration mehr war, haben wir es abgestellt. Im Studio geht das schon gar nicht. Harte Druggies und Alkis waren wir nie.

STANDARD: Gehen Sie noch privat in Clubs, oder ist das heute reine Arbeit?

Dorfmeister: Generell nicht mehr so oft wie früher. Ich muss mich halt zusammenreißen, dass ich nicht schon um eins hingehe, sondern erst um halb drei in der Früh. Die Soundwelle, das ganze Clubgefühl, das ist schon sehr wichtig. Die Clubs waren ja auch immer ein super Kontakttreffpunkt. Dort hast die Leute kennengelernt.

STANDARD: Heute stehen Sie um fünf Uhr in der Früh auf, um dann nicht in den Club zu gehen?

Dorfmeister: Ich stehe schon wegen meiner Kids immer sehr früh auf.

STANDARD: Sie haben über die Jahre jeweils andere Projekte gemacht. Wie sehr beeinflussen Sie neue Entwicklungen in der Clubmusik?

Dorfmeister: Wir müssen ja immer searchen, Charts da, Billboard dort. Das ist ja ein manischer Trieb, der nicht weggeht. Du verfolgst die Veränderung in deinem Geschmacksfeld.

STANDARD: Also nach wie vor nach Schallplatten graben in den Wühlkisten der Plattengeschäfte?

Dorfmeister: Ja, ich tu auch in der eigenen Plattensammlung diggen, weil man glaubt, man weiß alles. Dann nimmst du etwas raus und merkst wieder, dass du nichts weißt. Da fallen dir ganz arge Sachen ein. Wir haben ja zum Beispiel so viele Platten aus den 1990er-Jahren, da muss man auch wieder mal die verschweißten aufmachen.

STANDARD: Wie sehen Sie die derzeitige Situation, finanziell leiden Sie nicht übermäßig, oder?

Kruder: Doch.

Dorfmeister: Ich habe drei Kinder, das ist nicht wie in den 90er-Jahren, vastehst. Wir haben ein paar Obligations und einen Plan gehabt für dieses Jahr.

Kruder: Wir haben auch ein Team von zehn Leuten, die für uns für die Show arbeiten, die sitzen jetzt auch zu Hause mit Familien und warten, was passiert. Es ist für uns alle ein Trauerspiel, weil wir ein Wahnsinnsjahr geplant hatten. Wir hätten auf dem Coachella-Festival in den USA gespielt, viele tolle Sachen waren im Terminkalender. Schade, dass das nicht passiert, aber so hatten wir Zeit für die Platte.

STANDARD: Warum wurde das fertige Album damals nicht veröffentlicht? "1995" ist heute natürlich ein super Titel.

Dorfmeister: Das wär uns natürlich damals nicht eingefallen, das Ding so zu nennen. Damals wurden die Remix-Jobs immer mehr, dann kam die "DJ-Kicks"-Kompilation, dann gab es unfassbar viele Anfragen. Dazu noch ein Management. Da war es finito mit dem Underground-Business. Die Rakete ging hoch, mit allen Begleiterscheinungen.

Kruder: Das High, auf dem es war, haben wir bald bewusst abgedreht. Somit ist das High stehen geblieben für immer. (Christian Schachinger, 9.11.2020)