Die Geschäfte sind zwar offen, aber von Kundenfrequenz kann der Handel seit dem neuerlichen Lockdown nur träumen.

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Wer auf den ersten Blick erkennt, worum es geht, fühlt sich wohler. Simple Formeln helfen nicht nur der Politik, eine Botschaft zu transportieren. Auch in Debatten um die Wirtschaftslage hilft es, komplexe Mechanismen auf ihre Kernaussage herunterzubrechen. In Krisenzeiten gelingt dies Experten, indem sie die denkbar kürzesten Analogien bringen: Buchstaben.

Ökonomen debattieren buchstäblich darüber, wie die Wachstumskurve nach der Corona-Krise ausschauen wird. Vom wünschenswerten V bis zum schlimmen W oder einem katastrophalen L. Wir helfen mit einem Überblick, die Buchstabensuppe der Erholung zu durchschauen. Vorweg: Mit dem Alphabet kommen die Ökonomen nicht aus, wenn sie das Problem an der Wurzel packen wollen.

Das U

Unter Umständen untertaucht die Konjunktur nach einer Krise den ursprünglichen Wachstumspfad in Form eines U. Auf einen Einbruch folgt eine längere Schwächephase, bevor es wieder steil aufwärts geht, bis das Niveau vor der Krise erreicht ist. Diese Form komme eher bei traditionellen Krisen vor, sagt Klaus Weyerstrass vom Institut für Höhere Studien (IHS). Typisches Beispiel war die weltweite Entwicklung nach der Finanzkrise. Bis Unternehmen, Investoren und Verbraucher den Schock verdaut hatten, dauerte es in vielen Ländern über ein Jahr. Auch die Krise von 1973, die im Zeichen des Ölpreisschocks und der Abkehr der USA vom GoldStandard stand, folgte einer U-Form.

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Im Umkehrschluss handelt es sich bei der Corona-Krise nicht um eine typische Situation, schließlich fuhr der Staat bewusst weite Teile der Wirtschaft herunter. Dadurch ergab sich die Hoffnung, dass Regierungen den Schalter ebenso schnell wieder auf Wachstum stellen könnten.

Das V

Vielleicht von vielen verschrien, verging jedoch bald die Hoffnung auf eine V-förmige Erholung. Dass nach dem dramatischen Einschnitt, den der Lockdown im Frühjahr ausgelöst hat, die Wirtschaft ebenso schnell wieder Fuß fasst, wie sie ins Straucheln kam, hat sich nicht bestätigt. Obwohl es im Sommer noch ganz danach aussah: "Mehr V geht fast nicht", sagt Weyerstrass mit Blick auf die Wachstumsraten von Juli bis September. Nach dem steilen Absturz im Frühjahr, als die meisten Geschäfte, Restaurants und Hotels im Land stillstanden, kehrte die Kundschaft in Scharen zurück, sobald es die Lockerungen der Corona-Maßnahmen zuließen.

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Dieser Rebound dank kauf- und reiselustiger Konsumenten vermochte aber nicht wettzumachen, was in den wenigen Wochen im März und April verlorengegangen war. Darum ist die Chance auf ein V hierzulande verflossen. Wer eine V-Erholung sucht, wird in der Volksrepublik fündig. China wird heuer keine Rezession erleben. Der Einbruch zu Jahresbeginn war schmerzhaft, aber kurz.

Das Jahr ist noch nicht gelaufen und die Pandemie in Europa und auch an vielen anderen Orten virulenter denn je. Für Österreich sind die Hoffnungen auf eine Erholung, die genauso rasch geschieht wie der Abschwung, spätestens seit den jüngsten Konjunkturprognosen von Wifo und EU-Kommission zunichte. Angesichts des erneuten Lockdowns erwarten die Experten heuer eine Rezession von 7,7 Prozent (statt minus 6,8) und nächstes Jahr einen Aufschwung von nur 2,8 Prozent statt 4,4 Prozent. Ein V sieht anders aus.

Das W

Was wirklich Wunden hinterließe, wäre das W. Der Buchstabe steht für eine doppelte Rezession. Je nach Schreibweise gelingt die wirtschaftliche Erholung nur bedingt bis zum Niveau vor der Krise, bevor ein neuerlicher Rückschlag erfolgt. Für einen W-förmigen Verlauf noch im laufenden Jahr müsste die Wirtschaft im letzten Quartal klar einbrechen. Laut der angesprochenen jüngsten Wifo-Prognose wäre das der Fall, wenn der aktuelle Lockdown verschärft und bis Mitte Dezember verlängert wird.

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Ein W ist in der Eurozone nicht unbekannt. Nach der Finanzkrise geschah genau das. Nach schwerfälligen drei Jahren der Erholung löste die Staatsschuldenkrise einen neuerlichen Einbruch in weiten Teilen der Währungsunion aus. "Das Risiko einer erneuten Rezession ist heute geringer als nach der Finanzkrise, wo man die schwache Nachfrage mit Austeritätspolitik abgewürgt hat", sagt Mario Holzner, Ökonom und Geschäftsführer des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), mit Blick auf ein mögliches W.

Swoosh bis Wurzel

Ob wirklich ein W-Verlauf eintritt, ist allerdings offen. Schon seit März hätten die Konjunkturprognosen der meisten Forschungsinstitute eine zweite Welle als wahrscheinliches Szenario berücksichtigt, erklärt Holzner.

Viele Experten halten nicht einen Buchstaben, sondern ein Markenlogo für die beste Beschreibung des Konjunkturverlaufs. Nike ist demnach nicht bloß die altgriechische Siegesgöttin und der Name eines Sportartikelherstellers. Nike liefert neuerdings auch einen Begriff für Konjunkturforscher, deren einige das einem liegenden Hakerl gleichende Nike-Logo, den "Nike-Swoosh", für die wahrscheinlichste Verlaufsform der Wirtschaft nach der Corona-Krise halten.

Ein Hakerl ...

Dem Logo-Muster folgend, bricht die Wirtschaft zunächst stark ein, aber erholt sich langsam – und vor allem kontinuierlich. Das legen auch die jüngsten IHS-Prognosen für Österreich nahe. Die Ökonomen rechneten dort mit einer leicht positiven Entwicklung bis zum kommenden Frühling. Danach soll die Konjunktur anspringen. So weit die noch nicht aktualisierte offizielle Prognose – denn auch Weyerstrass glaubt, dass das vierte Quartal zuerst noch einmal einen kleinen Einbruch bringen wird – das ergebe kurzfristig ein W mit kleinem zweiten Rückgang.

Oder doch eine verkehrte Wurzel?

Auch beim Wifo gehen die Experten davon aus, dass erst Mitte des nächsten Jahres die Pandemie so weit im Griff ist, dass die Wirtschaft an Fahrt aufnehmen kann. Allerdings ist Wifo-Konjunkturforscher Stefan Schiman pingelig, was die Form der Erholung anbelangt. Man sehe eher ein umgekehrtes Wurzelzeichen als einen Swoosh. Solange Staaten keinen Lockdown wie im Frühjahr verhängen, werde die Wirtschaft im Herbst und Winter nicht noch einmal so stark einbrechen, betont auch WIIW-Ökonom Holzner. Und selbst wenn das öffentliche Leben erneut wie im Frühjahr eingeschränkt werden sollte, dürfte die Wirtschaft besser wegkommen als zu Anfang der Pandemie, schätzen Experten. Die Industrie arbeitet bereits mit Hygiene- und Sicherheitskonzepten. Für viele Unternehmen ist die Arbeit im Homeoffice zur Routine geworden. Staatliche Hilfsprogramme müssten verlängert, aber nicht neu erfunden werden.

Mario Holzner glaubt sogar an die kollektive Lernfähigkeit in einem Lebensbereich, der sich während des Lockdowns augenscheinlich als zentral für viele besorgte Bürger entpuppt hat: Das große Klopapierhorten werde nicht wieder stattfinden – man habe dazugelernt und gehe jetzt besser mit der Situation um.

Das L

Langes Leid löst eine L-förmige Entwicklung nach einer Krise aus. Gemeint ist ein Trendbruch, erklärt Schiman. Auch wenn eine Volkswirtschaft in diesem Szenario wieder einen Wachstumspfad einschlägt, macht sie über lange Zeit nicht wett, was verloren wurde. Hartnäckige Arbeitslosigkeit, mangelnde Investitionen und flaues Wachstum dauern in dem Fall so lange an, dass eine U-Form keine treffende Beschreibung mehr liefert. Ein L erwarten zum Glück die wenigsten.

Das K

Krisenbedingt krachen können Konzerne kleiner oder großer Branchen, ohne dass andere davon betroffen sind. In dem Fall schaut die Erholung nach einer Krise für unterschiedliche Teile der Gesellschaft ganz anders aus. Während etwa Tech-Riesen wie Zoom oder Microsoft von Trends wie Homeoffice profitieren, droht Branchen wie dem Tourismus der Tod. Die einen wachsen, die anderen schrumpfen – ein K. (Leopold Stefan, Aloysius Widmann, 9.11.2020)