Das Handeln der Behörden im Vorfeld des Wiener Terroranschlags wirft weiterhin Fragen auf.

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Wien – Im Zusammenhang mit den Ermittlungen um den Terroranschlag in der Wiener Innenstadt stellt sich immer drängender die Frage, weshalb im Sommer die Observation des späteren Attentäters abgebrochen wurde. Am Montag wurden nähere Einzelheiten zu dem Treffen mehrerer Terrorverdächtiger bekannt, die sich Mitte Juli in Wien verabredet hatten. Der Attentäter und sein Netzwerk wurden dabei tagelang vom Verfassungsschutz observiert – bis der 20-Jährige in die Slowakei reiste.

Just zu dem Zeitpunkt, als sich der Attentäter – wie man mittlerweile weiß – am 21. Juli in der Slowakei Munition für sein Sturmgewehr kaufen wollte, stellte der Verfassungsschutz nämlich seine Observationen ein. Dabei hatten die Staatsschützer detailliert beobachtet, wie der 20-Jährige und sein Wiener Bekanntenkreis vier islamistische Gesinnungsgenossen aus Deutschland und der Schweiz am Flughafen Schwechat abholten und in weiterer Folge den ausländischen Gästen ein Kennenlernen der Bundeshauptstadt und – wie zu vermuten ist – der lokalen Islamistenszene ermöglichten.

Sightseeing in Wien

Der spätere Attentäter und einige seiner Bekannten, die seit dem Wochenende wegen mutmaßlicher Mitwisserschaft beziehungsweise Mittäterschaft am Blutbad in Wien in U-Haft sitzen, führten die Deutschen und Schweizer in unterschiedlicher Zusammensetzung zum Essen aus. Sie besuchten mit diesen Moscheen zum gemeinsamen Gebet und ließen sie in ihren Wohnungen übernachten. Auch einige Sehenswürdigkeiten der Stadt sollen sie den Glaubensbrüdern gezeigt haben.

Der heimische Verfassungsschutz war von Kollegen aus Deutschland gewarnt worden, dass zwei mutmaßliche Jihadisten auf dem Weg nach Wien waren. Weshalb der spätere Attentäter und sein engeres Umfeld nicht mehr überwacht wurden, nachdem die beiden Deutschen von ihrem Wien-Aufenthalt zurückgekehrt waren, ist weiter unklar.

Terroranklage gegen Mitverdächtigen lag vor

Am Montag wurde bekannt, dass gegen einen der Männer, die als mögliche Mitwisser beziehungsweise Mittäter in U-Haft genommen worden sind, zum Zeitpunkt des Blutbads eine Anklage wegen terroristischer Vereinigung vorgelegen ist. Gegen den Verdächtigen – er ist 18 Jahre alt, seine Eltern stammen aus Bangladesh, vor seiner Festnahme soll er äußerlich aufgrund seiner Kleidung und Barttracht als strenggläubiger Moslem erkennbar gewesen sein – wurde demnach Anfang Oktober eine Terroranklage beim Landesgericht eingebracht. Darin wird ihm vorgeworfen, sich seit März 2018 für die radikalislamistische IS-Terrormiliz betätigt und den späteren Attentäter bei dessen Plänen unterstützt zu haben, nach Syrien zu reisen, wo sich dieser dem IS anschließen wollte. Diesbezüglich wird dem 18-Jährigen ein "psychischer Tatbeitrag" angelastet.

Entschädigungsfonds für Opfer

Auch die Debatte um die politische Verantwortung rund um den Terroranschlag ist seit Montag um eine Facette reicher. Der Wiener Rechtsanwalt Karl Newole, der eine Amtshaftungsklage gegen die Republik vorbereitet, fordert nun auch einen Entschädigungsfonds für die Opfer des Wiener Terroranschlags. Das wäre angesichts der "sukzessive zutage tretenden tödlichen Fehler in der Sicherheitsverwaltung" geboten, argumentierte der Gründer der Bürgerliste "Wir im Ersten" am Montag in einer Aussendung.

Einer der zutage getretenen Fehler war, dass der Verfassungsschutz slowakische Informationen über einen versuchten Munitionskauf im Juli nicht der Justiz weitergegeben hat. Hätte die Justiz diese Informationen gehabt, "wäre es ziemlich sicher möglich gewesen, den späteren Attentäter aufgrund neuer Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft zu nehmen", erklärte dazu Sabine Matejka, die Präsidentin der Richtervereinigung, am Sonntag in der ORF-Sendung "Im Zentrum".

Noch vier Personen im Spital

Noch vier Verletzte befinden sich eine Woche nach dem Terroranschlag im Spital. Vor dem Wochenende waren es noch fünf, inzwischen konnte eine Person entlassen werden, teilte eine Sprecherin des Wiener Gesundheitsverbunds mit. Von den vier stationär behandelten Patienten liegen zwei nach wie vor auf der Intensivstation, wobei ihr Zustand weiterhin als stabil beschrieben wird.

Bei dem Attentat am vergangenen Montagabend wurden vier Personen getötet. Mehr als 20 Menschen wurden verletzt. Sie sind mit Schuss- und Stichverletzungen in insgesamt sechs Wiener Spitälern versorgt worden. (APA, red, 9.11.2020)