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Über dem tödlichen Terroranschlag am 2. November in Wien schweben weiterhin viele Fragezeichen. Einer der wichtigsten Ermittlungsansätze betrifft momentan die Anreise des Täters. Dieser wohnte im 22. Bezirk, mehr als sieben Kilometer vom Tatort entfernt. Bisher ist aber unklar, wie er mitsamt seinen Waffen inklusive einer Sprengstoffgürtel-Attrappe in die City gelangt ist. Minutiös prüften Polizisten Überwachungsvideos, vor allem jene der Wiener Linien. Doch es scheint so, als wäre der Täter nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist. Ein Fußweg wird ausgeschlossen, ein dort parkendes Auto hätte man mittlerweile entdeckt und zuordnen können. Deshalb gewinnt die Theorie, dass der Attentäter von jemandem zum Tatort gebracht wurde, immer mehr Bedeutung. Das bedeutet wiederum, dass der Täter doch Helfer hatte, die direkt in den Anschlag involviert waren. Aus Ermittlerkreisen heißt es, der potenzielle Helfer befände sich wohl nicht unter den bisher verhafteten Personen. Offiziell bestätigen will die Polizei das nicht.

Schon gehört?

Zu den festgenommenen Männern, über die U-Haft verhängt wurde, dringen immer mehr Informationen nach außen. Zu ihnen zählt auch B. K., der 2018 mit dem späteren Attentäter nach Afghanistan und Syrien ausreisen wollte. Einen schriftlichen Haftbeschluss hat dessen Anwalt aber noch nicht erhalten. Dem Vernehmen nach war er nicht der Einzige unter den Verdächtigen, der einst ins IS-Kriegsgebiet reisen wollte. Und: Einer der Verdächtigen soll einen "psychischen Beitrag" zur geplanten Ausreise des Täters geleistet haben, gegen ihn lag eine Terroranklage vor. Dennoch befand sich der womöglich in die Anschlagspläne verwickelte 18-Jährige zum Zeitpunkt des Attentats auf freiem Fuß – offenbar, weil er erst 16 Jahre alt war, als die inkriminierten Tathandlungen einsetzten, und aufgrund seiner bisherigen Unbescholtenheit, hieß es von Behördenseite. Er wurde erst am Tag danach festgenommen.

Besuch aus dem Ausland

Offiziell bestätigt ist, dass der spätere Attentäter K. F. Mitte Juli Besuch von Jihadisten aus der Schweiz und aus Deutschland bekam. Bis zu zehn Personen sollen sich in einem Park in Wien getroffen haben, all das wurde vom Verfassungsschutz beobachtet. Rund um diesen Termin sollen die ausländischen Islamisten auch in eine Wohnung in Wien-Meidling gekommen sein, wie die Familie eines Verhafteten dem STANDARD erzählt. "Sie haben gemeinsam Tee getrunken, darin besteht seine ganze Schuld", sagt der Vater eines Festgenommenen. Sein Sohn habe gerade für die Matura weiterlernen wollen, jetzt "reißt man ihn davon weg". Kritik gibt es auch von Roland Schöndorfer, dem Anwalt des Verdächtigen: "Ich kann nicht nachvollziehen, wie hier zwanghaft versucht wird, eine Terrorzelle zu kreieren." Der Attentäter soll sich nicht unter den Besuchern befunden haben. "Ich sehe keinen dringenden Tatverdacht. Nur weil er mit Leuten eineinhalb Stunden zusammen war, Monate bevor ein Anschlag passierte, ohne mit dem Attentäter in einer Verbindung zu stehen oder ihn zu kennen", so Schöndorfer.

Er bemängelt auch den Umgang der Polizei mit seinem Mandanten. So wurde dessen Wohnung in der Nacht nach dem Anschlag aufgebrochen, er wurde nicht vorgefunden; seine Familie aber nicht kontaktiert. Der ältere Bruder ging dann mit dem Verdächtigen zur Polizei. Dort seien sie eine Stunde lang im Gang festgehalten worden.

Verbindungen zum religiösen Extremismus bestreitet die Familie, der Vater gilt in der tschetschenischen Diaspora in Europa als Intellektueller. "Das ist Banditismus, was haben wir damit zu tun? Ich bin da dagegen, das ist nicht unser Krieg, wir brauchen ihn nicht", sagt er. Die Familie betont, dass es zur Gastfreundschaft gehöre, Besucher zu empfangen und zu bewirten. Die ausländischen Jihadisten habe ein weiterer Verdächtiger zu ihnen geführt. Es gilt die Unschuldsvermutung. (Herwig G. Höller, Gabriele Scherndl und Fabian Schmid, 9.11.2020)