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In der Gedenkstätte für die 155 Toten des Brandinfernos: Jeder Lichtschlitz symbolisiert einen Menschen, der bei dem Seilbahnbrand den Tod fand.

foto: expa/picturedesk/feichter

Ein ökumenischer Gottesdienst, aber keine offiziellen Redner, keine Medien und nur wenige Angehörige: Aufgrund der Corona-Auflagen wird die Gedenkfeier zum 20. Jahrestag der Brandkatastrophe im Tunnel der Bahn auf das Kitzsteinhorn bei der Gedenkstätte an der Talstation nur in sehr kleinem Rahmen stattfinden.

Bei dem durch einen defekten Heizlüfter im Führerstand ausgelösten Brand der Standseilbahngarnitur "Kitzsteingams" am frühen Vormittag kamen insgesamt 155 Menschen ums Leben, die meisten starben durch eine Rauchgasvergiftung. Nur zwölf Personen konnten sich aus dem Inferno retten, weil sie aus dem brennenden Wagon über die Nottreppe talwärts flüchteten und so nicht in die giftige Rauchwolke gerieten.

Acht Nationen

Die Toten stammten aus acht Nationen, darunter 37 Deutsche, zehn Japaner und acht US-Amerikaner. Viele Angehörige werden heuer aufgrund der aktuellen Reisebeschränkungen dem Gedenkakt nicht beiwohnen können. Die Mehrheit der Toten stammte aus Österreich, unter den 92 Opfern waren auch viele Einheimische und langjährige Mitarbeiter der Gletscherbahnen Kaprun AG.

Vorstandsvorsitzender Norbert Karslböck war zum Unglückszeitpunkt Bürgermeister von Kaprun. Das Unglück sei in seiner Dramatik für den Ort prägend, schlagartig hätten sich viele Lebensläufe verändert, sagt Karlsböck im Gespräch mit dem STANDARD.

Neue Vorschriften – neue Normen

Die Gletscherbahnen hätten erkannt, "nicht die Technik, sondern die Natur und der Mensch sind das Maß der Dinge". Neben der Stilllegung der Unglücksbahn wären umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen und der Verzicht auf Neuerschließungen trotz neuer Zubringerbahnen eine Folge dieser Bewusstseinsänderung im Umgang mit dem Tourismus gewesen.

Neben den unmittelbaren Auswirkungen auf die Region führte der verheerende Brand zu neuen Regeln im österreichischen Seilbahngesetz und vor allem zu einer Verschärfung zahlreicher Brandschutznormen auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. "Das reicht bis zu Vorschriften und Normen für den U-Bahn-Betrieb", sagt Karlsböck.

Es gibt seit 2006 in Österreich sogar ein eigenes Gesetz: das in der Fachwelt als "Lex Kaprun" bekannte Verbandsverantwortlichkeitsgesetz. Das Gesetz ist eine Reaktion auf den Freispruch aller 16 Angeklagten im Kaprun-Prozess. Diese wurden – stark vereinfacht dargestellt – freigesprochen, weil keinem der Beschuldigten eine direkte Schuld an dem Unfall nachzuweisen war; ein Schuldspruch für die gesamte Aktiengesellschaft war im Strafrecht damals nicht vorgesehen. Der Richter folgte dem Argument des unabwendbaren Ereignisses, das eben von besagtem Heizlüfter ausgelöst worden sei.

Kaprun wie Ischgl?

Unwidersprochen blieb der Freispruch nicht. Vor allem deutsche Medien wiesen wiederholt auf Ungereimtheiten bei den Ermittlungen hin. So sei beispielsweise der Verbleib des Hauptbeweisstücks – eben des Heizlüfters – auf dem Weg vom Kriminaltechnischen Zentrum des Innenministeriums zum Landeskriminalamt und zu den Gerichtsgutachtern monatelang nicht nachvollziehbar gewesen, erinnern sich Prozessbeobachter bis heute.

Aus den vielen Pannen im Prozess zog der deutsche Journalist Hannes Uhl zuletzt in der Wochenzeitung Die Zeit den Schluss: Der Freispruch sei erfolgt, weil man "um das Image des Tourismus" fürchtete – "wie heute in Ischgl".

Karrieren

Interessant übrigens auch die späteren Karrieren einiger Prozessbeteiligter. Einer der Strafverteidiger war Wolfgang Brandstetter, später Justizminister, dann Vizekanzler und nun Verfassungsrichter. Ein anderer Verteidiger, Wilfried Haslauer junior, ist heute Landeshauptmann von Salzburg, und für den Kaprun-Chefermittler der Polizei, Franz Lang, war es das Karrieresprungbrett zum Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit.

Spuren in der Literatur

Der 11. November 2000 hat auch in der Literatur seine Spuren hinterlassen. Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek inspirierte die Tragödie zum Stück In den Alpen. ORF-Journalist Peter Obermüller publizierte eine akribische recherchierte Doku: Kaprun – Dokumentation der Katastrophe am Kitzsteinhorn.

Und die steirische Journalistin Iris Rahlek hat in ihrem heuer erschienenen Buch Todesfahrt auf das Kitzsteinhorn Tatsachen und Fiktion zu einem Roman verwoben, in dem auch sie fragt: "155 Menschen sterben, und niemand ist schuld?" (Thomas Neuhold, 10.11.2020)