Financial Times: "Ein Freund im Weißen Haus"

"Ebenso wie die Amerikaner hat endlich auch der Rest der Welt wieder eine gewisse Aussicht auf Normalität. Donald Trump hat eine internationale Ordnung gestört, die zwar unvollkommen, aber den bekannten Alternativen überlegen ist. Vertraute Verbündete und multilaterale Gremien wurden verschmäht, unangenehmen Führern wurde beigestanden. Da seine außenpolitischen Aktionen kaum durch den Kongress eingeschränkt werden können, hat Joe Biden die Möglichkeit, diesen Teil des Trumpismus in kurzer Zeit rückgängig zu machen. Auch hier spielen Gesten und Rhetorik eine wichtige Rolle. Zumindest für vier Jahre haben Demokratien wieder einen Freund im Weißen Haus."

Joe Biden, designierter US-Präsident.
Foto: AFP / Angela Weiss

Neue Zürcher Zeitung: Stärkung für die liberale Demokratie

"Biden hat akute Krisen zu bewältigen (...). Sein Fokus wird zunächst ganz auf dem Inneren liegen. Trotzdem ist diese Wahl ein Signal über die amerikanischen Grenzen hinaus. Es stärkt die liberale Demokratie, wenn das geopolitisch und wirtschaftlich mächtigste Land mit seiner großen Strahlkraft nicht länger von einem autoritären Demagogen regiert wird."

Rzeczpospolita: Reset für PiS?

"Der Sieg von Biden könnte für (Polens nationalkonservative Regierungspartei, Anm.) PiS einen Reset bedeuten – in der Außen- genauso wie in der Innenpolitik. Präsident Andrzej Duda, der in seinem Wahlkampf warnte, dass die LGBT-Ideologie schlimmer sei als der Bolschewismus, wird keinen leichten Anfang seiner Zusammenarbeit mit Biden haben. Biden hat in seinem Wahlkampf auch gesagt, dass er im Verhältnis zu Polen auf Werte setzen wird – aber sicherlich auf andere als jene, die die PiS hochhält. Polens Regierende haben Grund zur Beunruhigung. (...)

Bisher hat die PiS in Brüssel und Berlin hart gespielt, weil sie darauf zählte, dass sie in Washington einen starken Verbündeten hat, der die EU nicht mag und sich mit (Deutschlands Bundeskanzlerin, Anm.) Angela Merkel ständig in der Wolle hat. Biden hat jedoch schon einen Neuanfang in den Beziehungen zu Deutschland und zur EU angekündigt. Das wird es der PiS erschweren, ihre bisherige Außenpolitik fortzuführen."

Maygar Nemzet: Ein Warnzeichen

"Am Ende eines bizarren Wahlkampfs kam es zu einem Ergebnis, das alles ist, nur nicht überzeugend. (...) Es beginnen die Nachhutgefechte, die Gerichtsverfahren, die Neuauszählungen. (...) In den vier Jahren (unter Präsident Donald Trump) haben die USA ihre Rolle als Weltgendarm deutlich zurückgefahren, die Soldaten kehrten aus Nahost zurück, in der Nato setzte endlich ein Reformprozess ein. (...) Doch Trump war ein Außenseiter und blieb es auch. Joe Biden hingegen gehört zur Elite. (...)

Uns Ungarn mag es als Warnzeichen dienen, dass er im Wahlkampf Weißrussland, Polen und Ungarn in einem Atemzug nannte und in diesen Ländern Diktaturen am Werk wähnte. Es kann gut sein, dass der Name keines einzigen dieser Staaten ihm etwas sagt, was bedeutet, dass er als Präsident immer noch eine andere Politik machen kann."

Dennik N: Undemokratische Neigungen

"Die vergangenen vier Jahre haben gezeigt, dass die amerikanische Demokratie ebenso verletzlich ist wie jede andere auf der Welt. Die Republikanische Partei hat sich fast völlig und im Grunde ohne Widerstand einem egomanischen und inkompetenten Lügner unterworfen. (...) Dennoch wählten mehr Menschen nochmals Trump als jeden bisherigen US-Präsidenten – außer Biden natürlich. In anderen Worten: 70 Millionen Menschen haben nichts gegen einen Politiker mit offen undemokratischer Neigung und fragwürdiger Moral.

Diese Wähler werden im Falle eines Versagens von Biden in vier Jahren umso zorniger und womöglich noch zahlreicher zurückkehren. Wenn sich die Republikaner bis dahin nicht von Trump ablösen oder wenn sie an seiner Stelle womöglich einen noch Schlimmeren wählen, kann uns im Jahr 2024 ein schwerer Zusammenstoß erwarten."

Gazeta Wyborcza: Ein Happy End

"Die US-Wahl war ein Polit-Thriller erster Güte, aber mit Happy End. Amerika wird unter dem Tandem Biden-Harris ein anderes werden als unter Trump. Aber das Wahlergebnis ist in Wahrheit nicht nur für Trumps Anhänger eine Tragödie, sondern vor allem für die Populisten auf der ganzen Welt. (...) Vor allem im Fall von Großbritannien sind die Konsequenzen offensichtlich. Bidens Präsidentschaft bedeutet die Stärkung der Beziehungen zu Berlin und Paris und ein Ende des Luftschlosses vom "unglaublich lukrativen" Handelsvertrag zwischen London und Washington. Wenn Boris Johnson die Bedingungen der EU nicht akzeptiert, dann wird sich sein Land in zwei Monaten in einem geopolitischen und wirtschaftlichen Leerraum befinden." (APA, 10.11.2020)