Terroristen müssen in ihren Heimatländern vor Gericht gestellt werden, so der Politikwissenschafter Rainer Bauböck im Gastkommentar.

Die SPÖ verlangt eine Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes, um Terrorismusverdächtige leichter ausbürgern zu können. Als impulsive Reaktion auf den Mord an vier Menschen durch einen Jihadisten mag das verständlich sein, rechtlich, politisch und moralisch ist das aber die falsche Antwort.

Erst 2015 wurde eine neue Bestimmung ins Staatsbürgerschaftsgesetz eingefügt, wonach "einem Staatsbürger, der freiwillig für eine organisierte bewaffnete Gruppe aktiv an Kampfhandlungen im Ausland im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes teilnimmt, die Staatsbürgerschaft zu entziehen ist, wenn er dadurch nicht staatenlos wird". Für die SPÖ soll in Zukunft schon der Vorsatz, sich einer terroristischen Vereinigung anzuschließen, genügen, um die Staatsbürgerschaft zu verlieren. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil denkt im Interview mit der Presse laut darüber nach, warum Terroristen, weil sie ja die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verdienen, nicht staatenlos gemacht werden sollen.

Personen, die in den Jihad ziehen, sollte die Staatsbürgerschaft aberkannt werden, fordert die SPÖ. Da brauche es "gar kein Verfahren", sagt etwa Landeshauptmann Doskozil.
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In den vergangenen Jahren haben 13 EU-Mitgliedsstaaten ihre Staatsbürgerschaftsgesetze geändert, um Ausbürgerungen aus Sicherheitsgründen zu erleichtern. Dabei gab es jedoch immer den Vorbehalt, dass Staatenlosigkeit verhindert werden muss. Nur in Großbritannien genügt es, wenn der Innenminister überzeugt ist, dass die Betroffenen die Möglichkeit haben, eine andere Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Keine Strafe

Warum sollten aber ausgerechnet Terroristen davor geschützt werden, staatenlos zu werden? Nicht nur, weil Österreich und die meisten anderen Staaten sich völkerrechtlich verpflichtet haben, Staatenlosigkeit zu vermeiden. Sondern auch deshalb, weil damit die Bekämpfung des jihadistischen Terrorismus erschwert wird. Beim Entzug der Staatsbürgerschaft geht es nämlich nicht um Bestrafung – dafür ist das Strafrecht zuständig. Es geht um eine ganz andere Frage: Welcher Staat ist für wen verantwortlich? Die Ausbürgerung von Terroristen dient einem einzigen Zweck: die Verantwortung für diese auf andere Staaten abzuschieben.

Wenn jemand staatenlos ist, dann gibt es keinen Staat, der verpflichtet ist, ihn aufzunehmen. Also kann er auch nicht abgeschoben werden. Doskozil spekuliert aber darauf, dass ein Staatenloser, der ausreist, auch nicht mehr zurückkommen kann. Wir sind ihn also los. Vielleicht mordet er dann in Syrien, aber das geht uns nichts mehr an.

Scheinbare Lösung

Dieselbe Logik der Abschiebung nicht nur von Gefährdern, sondern auch von Verantwortung für diese greift auch dann, wenn es sich um Doppelstaatsbürger wie den Wiener Terroristen K. F. handelt. Hätte man ihm aufgrund seiner Absicht, sich der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) anzuschließen, die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen, dann hätte ihn das nicht daran gehindert, nach Syrien auszureisen, aber nach seiner Verhaftung in der Türkei wäre nicht mehr Österreich, sondern Nordmazedonien für ihn zuständig gewesen.

Die kanadische Rechtsprofessorin Audrey Macklin hat präzise beschrieben, was geschieht, wenn alle Staaten nach dieser Logik handeln. Bei Doppelstaatsbürgern, die ein Sicherheitsrisiko darstellen, gibt es dann den Anreiz, schon beim geringsten Verdacht die Staatsbürgerschaft möglichst rasch abzuerkennen. Jener Staat, der in diesem Spiel langsamer reagiert, bekommt den schwarzen Peter. Damit wird nicht nur die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus gefährdet, sondern auch im Inneren der Rechtsstaat geschwächt und das Opfernarrativ als Rekrutierungsstrategie der Jihadisten plausibler gemacht.

Verantwortungsloser Umgang

K. F. war ein einheimischer Terrorist, in Wien aufgewachsen und offensichtlich auch hier jihadistisch radikalisiert. Ihn auszubürgern wäre kein Beitrag zu größerer Sicherheit gewesen, sondern ein verantwortungsloser Umgang mit internationalem Terrorismus. Um größere Sicherheit zu erreichen, müssen Terroristen in ihren Heimatländern vor Gericht gestellt werden, muss die von ihnen ausgehende Gefahr durch Deradikalisierungsprogramme so weit wie möglich entschärft werden, muss es mit den Behörden anderer Staaten effektive Zusammenarbeit und Informationsaustausch geben. Ausbürgerung erleichert keine dieser Aufgaben, sondern ist die billigste Art, sich vor ihnen zu drücken. (Rainer Bauböck, 10.11.2020)