Primar Bernd Lamprecht vom Kepler-Klinikum Linz behandelt selbst Covid-19-Patientinnen und -Patienten.

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Es gibt wieder Rufe nach einer sofortigen Totalschließung aller Schulen. Zuletzt kam diese Forderung von dem Mathematiker Peter Markowich, dem Informatiker Georg Gottlob und den Physikern Christoph Nägerl und Erich Gornik. Sie sagen, Schulen seien "einer der Treiber von respiratorischen Viren, das ist bewiesene Tatsache". Wer gegen Schulschließungen sei, sei für Triage. Was sagt jemand wie der Primar Bernd Lamprecht, der selbst Covid-19-Patienten behandelt, dazu? Lamprecht ist Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Kepler-Universitätsklinikum in Linz.

STANDARD: Was weiß man gesichert über den Zusammenhang zwischen dem Coronavirus und Kindern? Welche Rolle spielen sie – in welchem Alter – für das Infektionsgeschehen? Sind sie eher die, die andere anstecken, oder die, die sich selbst anstecken?

Lamprecht: Bisherige Beobachtungen legen nahe, dass Kinder anders als bei Influenza nicht eine so bedeutende Rolle in der Infektionskette spielen. Außer Streit steht, dass Kinder sehr selten schwer erkranken und in den meisten Fällen gar keine oder sehr leichte Symptome zeigen. Weniger Symptome – wie beispielsweise Husten – dürften eine geringere Wahrscheinlichkeit der Virusweitergabe bedeuten. Allerdings wissen wir, dass auch asymptomatische Personen eine hohe Viruslast in ihrem Rachenraum aufweisen und andere Menschen anstecken können. Zudem ist unser Wissen über das Infektionsgeschehen bei Kindern wesentlich limitierter als unsere Erkenntnisse bei Erwachsenen, schlicht aus dem Grund, dass Kinder seltener getestet werden und über die Prävalenz der Infektion unter Kindern noch weniger bekannt ist als bei Erwachsenen.

STANDARD: Wie viele Kinder mit wie schweren Covid-19-Erkrankungen wurden denn in Linz in der Kinderklinik des Kepler-Klinikums von Ihren Kolleginnen und Kollegen behandelt?

Lamprecht: Wie gesagt, Kinder werden hierorts ausnahmslos in der Kinderklinik versorgt. Allerdings wurden in der Kinderklinik in den vergangenen acht Monaten tatsächlich nur ganz wenige Kinder stationär behandelt, die geringe Zahl der stationär behandelten Kinder steht in keiner mit Erwachsenen vergleichbaren Relation zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung.

STANDARD: Was wäre Ihre Empfehlung für den Schulbereich? Jetzt sind die Oberstufen im Distance-Learning, Kindergärten und Pflichtschulen sind weiterhin offen. Es gibt aber immer wieder Rufe nach einer Totalschließung.

Lamprecht: Solange es die Infektionszahlen und die Stabilität des Gesundheitssystems erlauben, ist die Öffnung der Schulen für die Unterstufe zweifellos von Vorteil für den schulischen Lernerfolg und für das in dieser Altersgruppe so bedeutsame soziale Lernen. Reichen die Effekte eines differenzierten Lockdowns jedoch nicht aus und droht die medizinische Versorgung nicht mehr im erforderlichen Maße verfügbar zu sein, dann wären Nachschärfungen in allen Lebensbereichen notwendig und gerechtfertigt.

STANDARD: Besteht nicht die Gefahr, wenn man die Kinder aus den Schulen nimmt, dass dann viele Eltern irgendwelche Betreuungskonstellationen organisieren müssen, wo erst recht Kontakte geschaffen werden, unerwünschte, riskante Kontakte, etwa indem ältere, nicht mehr berufstätige Familienmitglieder zur Betreuung eingespannt werden?

Lamprecht: Wenn Schulen in der Annahme geschlossen werden, dass Kinder auch eine gewisse – wenn auch nicht dominierende – Rolle in der Infektionskette spielen, dann wäre es nicht angebracht, die Betreuung an jene zu übertragen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Infektionserkrankung haben.

STANDARD: Was sagen Sie dazu, dass zuerst der Ruf nach Schulschließungen kommt und nicht zum Beispiel nach einer Schließung des Handels? Würden Sie diese Priorisierung unterschreiben?

Lamprecht: Ich halte es gesellschaftspolitisch für nachvollziehbar, dass zuerst die Gastronomie eingeschränkt wird, bevor die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen beschnitten werden. Wenn es bei weiterhin zu hohen Infektionszahlen zu einer umfassenden Schulschließung kommen müsste, dann würden aber zweifellos auch andere Bereiche unweigerlich eingeschränkt, schließlich würden Eltern, die Betreuungspflichten wahrnehmen müssen, ja auch im Handel und anderen Wirtschaftsbereichen fehlen.

STANDARD: Was ist aus Ihrer Sicht für einen möglichst sicheren Schulbetrieb zu beachten?

Lamprecht: Für die Schule gilt aus meiner Sicht dasselbe wie für andere Lebensbereiche: Abstand, Händehygiene und Mund-Nasen-Schutz helfen, das Infektionsgeschehen einzudämmen.

STANDARD: Was heißt denn überhaupt "Sicherheit" in pandemischen Zeiten? Welche "Sicherheit" können wir haben?

Lamprecht: Vollständige Sicherheit ist nicht zu erzielen, alle Bemühungen dienen der Risikominimierung und bedürfen einer sehr umsichtigen Güterabwägung. (Lisa Nimmervoll, 10.11.2020)