Das Interview im "Spiegel" mit der ehemaligen FDP-Politikern Silvana Koch-Mehrin sorgte für Aufregung. Kritiker sahen in den Fragen Sexismus.

Foto: Screenshot Spiegel

Die ehemalige FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin reagiert auf die mediale Aufregung nach einem Interview im "Spiegel". In dem Interview spricht sie über ihre Brustkrebserkrankung, dabei werden provokante Fragen gestellt und Geschlechterklischees im Zusammenhang mit Krankheit und Karriere bemüht, die auf Kritik stießen.

Die Medienwissenschafterin Elizabeth Prommer verurteilt die Fragen und sieht sie als Fall "unbewusster Wahrheitsverzerrung".

Anteilnahme für unterstützende Nachrichten

Auf Twitter bedankt sich Koch-Mehrin für "die Anteilnahme und die vielen unterstützenden Nachrichten, die mir in den vergangenen Tagen zu meiner Krebserkrankung geschrieben wurden. Für jeden und jede in so einer Situation ist das eine große Motivation und Hilfe."

Den Interviewer Hajo Schumacher kenne sie seit langem als "unabhängigen und streitbaren Journalisten". Er stelle Fragen, "die ich als Ex-Politikerin von Stil und Inhalt her nicht überraschend finde. Die Fragen sind provokativ, aber sie geben Gelegenheit, Vorurteile und Klischees aufzudecken und zurückzuweisen." Das Interview sei "ein auf vielen Ebenen aufklärendes Gespräch, das ich deswegen auch autorisiert habe".

Schumacher reagiert auf die Kritik ebenfalls "eher gelassen". Die Kunst bestehe darin, so schreibt der Journalist auf Anfrage des STANDARD, "die sachlich geäußerten Einwände aus einem Berg von persönlichen Schmähungen zu sieben". Unterstellungen, wonach er Männern in einer ähnlichen Lage andere Fragen gestellt hätte, seien "haltlos und bösartig". Schumacher beruft sich auf sein Buch "Männerspagat: Wie wir mit Offenheit, Respekt und Leidenschaft die alten Rollen überwinden".

Schumacher: "Mir sind Klischees durchaus bewusst. In einem Interview aber nimmt der Interviewer bisweilen eine Gegenposition ein, um das Gespräch voranzutreiben. Ein Meister des Interviews wie André Müller hat diese Technik virtuos angewendet. Silvana Koch-Mehrin hat darauf souverän reagiert."

Rücktritt nach Plagiatsskandal

Koch-Mehrin und Schumacher kennen einander gut. Als die Politikerin 2011 nach einem Plagiatsskandal zurücktrat, trat Schumacher in einem "Spiegel"-Artikel für sie ein. Das Naheverhältnis beeinflusse seine journalistische Unabhängigkeit nicht, sagt Schumacher: "Ich bin seit über 40 Jahren Journalist, davon 25 im politischen Betrieb. Der große Egon Erwin Kisch hat eine gute Journalistin / einen guten Journalisten definiert als jemanden, der ständig neue Menschen kennenlernt. Ich kenne Silvana Koch-Mehrin seit vielen Jahren, so wie zahlreiche andere Politikschaffende auch."

"Der Spiegel" hat in der Zwischenzeit das Interview aktualisiert und mit einer Anmerkung versehen: "Der Journalist Hajo Schumacher und die ehemalige Politikerin Silvana Koch-Mehrin kennen sich seit langem. Auf dieser Vertrauensbasis hat sich Koch-Mehrin auch den Fragen gestellt, die viele unserer Leserinnen und Leser als unverschämt und verstörend empfunden haben. 'Der Spiegel' hätte dies von vornherein transparent machen sollen, wir holen es hiermit nach."

Update: 10.11.2020

"Spiegel"-Chefredakteur Steffen Klusmann zur Causa fügt auf Anfrage hinzu: "Zudem werden wir künftig genauer darauf achten, welche Fragen wir stellen – und auf welche wir besser verzichten." (Doris Priesching, 10.11.2020)