Weil der Obmann der Geschworenen bei der Verlesung des Wahrspruchs die an die Geschworenen gerichteten Fragen nicht zur Gänze, sondern lediglich deren Überschriften verlesen hatte, muss jetzt neu verhandelt werden.

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Wien – Der Prozess gegen einen 32-jährigen Tschetschenen, der sich auf russischem Staatsgebiet jahrelang als Kämpfer für die islamistische Terrorgruppe "Emirat Kaukasus" betätigt haben soll, muss wiederholt werden. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in der vergangenen Woche in nichtöffentlicher Sitzung das Urteil des Wiener Landesgerichts vom vergangenen Juli in Teilen aufgehoben, mit dem der Mann zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Es muss neu verhandelt werden.

Der Mann soll von 2010 bis 2013 in seiner Heimat als Jihadist gekämpft und sich an Feuergefechten mit russischen Soldaten beteiligt haben. Er hatte sich im Alter von 20 Jahren der Gruppierung des inzwischen verstorbenen Doku Umarow angeschlossen, der im Nordkaukasus einen Gottesstaat auf Grundlage der Scharia errichten wollte. Mehr als 900 Terroranschläge auf russischem Staatsgebiet werden dem "Emirat Kaukasus" zugeschrieben. Der 32-Jährige soll unter anderem in einen Angriff auf ein russisches Sonderbataillon an der tschetschenisch-inguschetischen Grenze involviert gewesen sein, bei dem vier Soldaten ums Leben kamen.

Nichtigkeitsbeschwerde

Seinen Angaben zufolge geriet der Tschetschene im September 2013 in eine Sprengfalle. Ein in ein Mobiltelefon eingebauter Sprengsatz zerfetzte ihm die linke Hand und kostete ihn das Augenlicht. Verwandte brachten den Erblindeten in der Folge nach Inguschetien, von wo er nach Österreich geschleppt wurde. Ende Juli 2017 suchte er um Asyl an. Der Antrag wurde erstinstanzlich abgewiesen.

Als der Verfassungsschutz von seiner Vergangenheit Wind bekam, leitete die Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren ein. Ende Juli wurde er am Landesgericht für Strafsachen wegen terroristischer Vereinigung und versuchten Mordes als terroristische Straftat schuldig erkannt. Sein Verteidiger Wolfgang Blaschitz legte dagegen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein – und bekam post mortem Recht. Blaschitz war Anfang November tot in seinem Pkw gefunden worden. Er dürfte einem Herzinfarkt erlegen sein.

Wahrspruch nicht korrekt verlesen

Nach Ansicht des OGH hatte Blaschitz in seinem Rechtsmittel zutreffend aufgezeigt, dass in der Hauptverhandlung gegen die nichtigkeitsbewehrte Vorschrift des Paragrafen 340 Abs 2 StPO verstoßen worden war. Der Obmann der Geschworenen hatte bei der Verlesung des Wahrspruchs die an die Geschworenen gerichteten Fragen nicht zur Gänze, sondern lediglich deren Überschriften verlesen. "Ein nachteiliger Einfluss dieser Formverletzung auf die Entscheidung kann nicht unzweifelhaft verneint werden, weil die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit nicht unerheblich beeinträchtigt worden sein kann", hielt der OGH in seiner Entscheidung (11 Os 95/20k) fest, die nun im RIS veröffentlicht wurde. Termin für den zweiten Rechtsgang gibt es noch keinen. (APA, 10.11.2020)