Künstlerin und Model Michaela Schwarz-Weismann.

Foto: Jork Weismann

Klar, dass die Bim an diesem Morgen nicht daherkommt. Und logisch, dass der Taxistand gähnend leer ist. Es schüttet wie aus Kübeln, der Wind pfeift, nur der gelbe Friesennerz tut seinen Dienst. Nach minutenlangem Gewinke und Gefuchtel gelingt es, einen Wagen aus der Blechschlange auf der Ringstraße herauszufischen.

Das Fahrziel lässt den Taxler die Stirn runzeln, "ich hoffe, ich blamiere mich nicht", meint er. Er sucht eine von sehr vielen Wohnungen im Wiener Arsenal in der Nähe des Hauptbahnhofs. Ein bisschen blamiert er sich doch auf der Suche nach dem Zuhause von Künstlerin und Model Michaela Schwarz-Weismann.

Ist aber okay, denn hier wurden 177 Millionen Ziegel für den riesigen, ehemaligen militärischen Gebäudekomplex verbaut, der 1856 fertiggestellt wurde. Heute sind hier unter vielem anderen hunderte Wohnungen untergebracht.

Beeindruckender Innenhof

Endlich beim richtigen Gebäude angekommen, flieht man vor dem Sauwetter in den beeindruckenden Innenhof, von dem aus ein Treppenhaus nach oben führt. Eine Frau ist mit dem Aufwaschen des Steinbodens beschäftigt. Sie wirkt verloren, und die Gänge erinnern an einen Schulkomplex, in dem einem nach Läuten der Pausenglocke der Schüler Gerber über den Weg laufen könnte. Unter der gesuchten Wohnungsnummer hängt ein Türschild. Darauf ist "Mama + Papa" zu lesen.

Die Wohnung der Familie ist kein oberflächenbehübschtes Terrain. Die 165 Quadratmeter sind ein Platz zum Leben, der über die Jahre gut gewachsen ist.
Foto: Jork Weismann

Michaela Schwarz-Weismann öffnet die Tür, ihr Mann, der Fotograf Jork Weismann, ist auch daheim und bietet an, Kaffee zu machen. Er ist sichtlich stolz auf seine chromblitzende, gurgelnde Espressomaschine. Weismann wirkt, als könnte er enttäuscht sein, würde man das Angebot ablehnen.

Gleich neben der Küche liegt das Büro des Fotografen, in das er sich nach der Zubereitung eines erstklassigen Cappuccinos zurückzieht. Weismann lichtete Models wie Gisele Bündchen oder Tatjana Patitz ab, auch mit Stars wie Patti Smith, Lana del Rey hat der aus Oberösterreich stammende Fotograf gearbeitet.

Seine Fotos waren in der Vogue ebenso zu sehen wie in Vanity Fair oder der New York Times. Auch beim offiziellen Foto des österreichischen Bundespräsidenten hat er abgedrückt. Sie wissen schon, das Bild, das in so gut wie jedem Klassenzimmer hängt. Und auch die Fotos zu dieser Geschichte steuert er bei.

Zum Mobiliar zählt auch das Indianer-Tipi des siebenjährigen Juniors. Dieser betrachtet die riesige Anlage des Arsenals als seine große Ritterburg.
Foto: Jork Weismann

Zustand der Geborgenheit

Seit 14 Jahren wohnt das Paar hier, zuvor lebten die beiden in London, wo Michaela Schwarz-Weismann am Royal College of Art Malerei studierte. Die Design-Klasse auf der Wiener Angewandten hat sie ebenso absolviert. Auch als Model war sie vier Jahre beschäftigt. Vor der Kamera findet man sie noch heute immer wieder, und nicht nur vor jener ihres Mannes.

"Ich war viel unterwegs, Paris, New York, Mailand. Ich bin zwar gern auf Reisen, aber dann doch lieber daheim. Auch deshalb habe ich das Modeln als Hauptjob aufgegeben." Was es für sie bedeutet, daheim zu sein?

Michaela Schwarz-Weismann spricht von einem Zustand der Geborgenheit, vom Zusammensein von Menschen, von Gerüchen, aber auch der Präsenz von persönlichen Gegenständen. "Als ich noch viel in Hotels wohnte, hatte ich meinen eigenen Polsterbezug dabei, oder einen bestimmten Wasserkocher. Daheim sein, das ist an verschiedenen Orten möglich".

Foto: Jork Weismann

Wohnen im Arsenal

Doch zurück zu den Anfängen nach London, wo die beiden in Notting Hill wohnten. Ob man sich das so vorstellen kann wie im Romanzen-Streifen Notting Hill mit Julia Roberts und Hugh Grant? "Ja, durchaus", sagt Schwarz-Weismann. "Mit dem Unterschied, dass im Erdgeschoß unseres Hauses eine ziemlich laute Reggae-Bar untergebracht war."

Ihre Mietwohnung im Wiener Arsenal hat Jork Weismann im Internet gefunden. Anfangs sollte sie nur als Atelier dienen. Und überhaupt wollte das Paar gar nicht zurück nach Wien. "Uns ist in England nach drei Jahren einfach die Kohle ausgegangen. Es war schwierig und unglaublich teuer", erzählt Schwarz-Weismann von dieser Zeit.

Den Tausch eines lässigen Londoner Viertels mit Bars und Geschäften gegen eine Gegend in Wien, in der es damals gerade einmal den Südbahnhof gab, machte den Umzug für die beiden nicht leichter. "Wir wollten immer wieder von hier wegziehen, aber irgendwann haben wir begonnen, das alles liebzugewinnen", erzählt die aus Innsbruck stammende Künstlerin. Ihre Herkunft ist bis heute durchzuhören.

Der große hölzerne Tisch in der Mitte des Wohnraums, der verschiedenen Zwecken dient, ist ein Originalentwurf vom großen Le Corbusier. Durch die schönen Fenster mit Rundbogen kann man bis zum Donauturm, also nach Transdanubien blicken.
Foto: Jork Weismann

Am Wohnen im Arsenal schätzt sie das Dörfliche, das Nachbarschaftliche. "Wenn ich aus Versehen mein Autofenster offenlasse, rufen mich fünf Nachbarn an und machen mich darauf aufmerksam. Ich mag den Greißler, bei dem man Klatsch erfährt, ich schätze die Grünflächen und fühle mich sicher. Auch der Umgang ist ein sehr freundlicher."

Der Spuk

Die Geschichte der Anlage, die dem romantischen Historismus samt ein paar stilistischen Draufgaben zugeordnet wird, vergisst Schwarz-Weismann immer wieder. Mehr interessiert es sie, dass es hier spukt. Das bringt aber weder Frau, Mann noch Kind um den Schlaf.

"Wir sehen sowohl in der Wohnung als auch im Treppenhaus immer wieder Schatten, die wir uns nicht erklären können. Auch unser mittlerweile verstorbener Hund hat diese Schatten gewittert. Mein Sohn sagte einmal, ‚Lass den Mann vorbeigehen‘. Da war aber niemand. Spooky, kann ich nur sagen. Noch bin ich auf keinen grünen Zweig gekommen. Aber ich denke, hier wohnen liebe Geister."

In der Wohnung gibt es viel Kunst zu sehen, eigene und die anderer Künstler.
Foto: Jork Weismann

Insgesamt spukt es in der Wohnung auf 165 Quadratmetern, die Hauptfläche machen neben Küche, Vorraum, Kabinett und Bad zwei sehr große würfelartige Räume mit einer Höhe von 4,5 Metern aus. Durch Fenster mit Rundbögen im oberen Teil ist es möglich, über das Heeresgeschichtliche Museum hinweg, bis zum Donauturm nach Transdanubien zu blicken. Würde die Familie auf der anderen Seite des Gebäudes wohnen, kletterten die Pupillen die junge Skyline empor, die rund um den Hauptbahnhof aus dem Boden wächst.

Ritterburg

In einem der Wohnwürfel ist ein begehbarer Schrank, die Schlafstätte und eine gut bestückte Lego-Ecke des siebenjährigen Juniors untergebracht, der das Wohnen im Arsenal liebt und die ganze Anlage als Ritterburg sieht. Im anderen Würfel findet sich eine Art Wohn- und Esszimmer mit einer Büroecke. Das Zentrum markiert ein großer lang gezogener Holztisch, ein Entwurf von Le Corbusier.

Ansonsten gleicht die Wohnung einem gut gewachsenen Mix aus alten Stücken, Ikea, ein paar Designklassikern, einem knarrenden Holzboden und viel Kunst an den Wänden. Auch ein Schlagzeug und eine E-Gitarre tauchen auf. Gut, dass die Mauern so dick sind. Eines wird schnell klar: An diesem Ort lässt es sich wohlfühlen, hier leben Menschen, glattgebügelter Oberflächendesignschnickschnack ist das Reziprok dieses Zuhauses.

Foto: Jork Weismann

Nicht nur über dem tiefen Sofa im Wohnzimmer hängt ein Bild von Michaela Schwarz-Weismann, das schlafende Männer zeigt. Es gehört zu einer ganzen Serie, mit der die Künstlerin vor ein paar Jahren begann.

Warum sie schlafende Männer malt? "Der Ursprung liegt in einer Antwort auf die Präsidentschaft von Donald Trump, auch der Präsidentschaftswahlkampf in Österreich hat mich dazu inspiriert. Mir geht es mit diesen Arbeiten um eine Kritik am patriarchalen System. Ich lege die Männer schlafen und sage ihnen: ‚Gebt eine Ruhe!‘"

Gegenentwurf zum Kapitalismus

Mit der Zeit kippte die Künstlerin aber noch tiefer ins Thema Schlaf. Sie sieht Schlaf als eine Art Gegenentwurf zum Kapitalismus. Schläft man, sei es unmöglich zu konsumieren, und Ressourcen würden auch gespart. "Aber eigentlich finde ich sie auch ganz süß, meine schlafenden Männer", sagt Michaela Schwarz-Weismann. Den schlafenden Trump malte sie nicht. Hat sie auch nicht vor.

Dafür veranstaltete sie bei der Kunstmesse Parallel Vienna vor zwei Jahren Live-Schlafperformances, bei denen sie Menschen über Meditation "eingeschläfert" hat, wie sie es ausdrückt. "Schlaf benötigt Sicherheit, Geborgenheit, und ich empfinde es als großes Privileg und als Luxus, dass uns das möglich ist. Sicherer Schlaf müsste ein Menschenrecht sein", so Schwarz-Weismann.

"Aber eigentlich finde ich sie auch ganz süß, meine schlafenden Männer", sagt Michaela Schwarz-Weismann.
Foto: Jork Weismann

Auch ihr Mann Jork, passionierter Frühaufsteher, hat sich mit dem Thema Schlaf auseinandergesetzt, das ihn zu seinem Buch Asleep at the Chateau inspiriert hat. Darin sind eine Menge Prominenter zu sehen, die in den Hotelzimmern des legendären Hotels Chateau Marmont in Hollywood schlafen oder zumindest büseln.

Gleich um die Ecke vom Hotel, am Sunset Boulevard, starb der Fotograf Helmut Newton bei einem Autounfall, nachdem er in diesem Hotel abgestiegen war. Eine Arbeit Newtons hängt auch in der Wohnung der Weismanns.

Inzwischen ist auch Jork Weismann wieder aus dem Büro aufgetaucht und bietet an, noch einen Kaffee zu machen. Wäre vielleicht nicht schlecht, sonst findet man sich am Ende nach einer "Einschläferung" noch auf einem der Bilder von Michaela Schwarz-Weismann wieder. Wobei das Sofa schon sehr bequem aussieht. (Michael Hausenblas, RONDO Exklusiv, 19.11.2020)

Anmerkung: Der Hausbesuch erfolgte vor dem Lockdown.