Wien – Neun Tage nach dem Anschlag in Wien treiben die Behörden noch immer viele Fragen rund um den getöteten Terroristen um, der am Abend des 2. November in der Innenstadt unter anderem mit einem Sturmgewehr vier Menschen getötet und knapp zwei Dutzend schwer verletzt hat. Als fix gilt, dass der 20-jährige IS-Anhänger, der auch über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügte und hierzulande aufgewachsen war, noch in derselben Woche seinen Stellungstermin gehabt hätte, wie Profil zuerst berichtete.

Angelobung mit Abstand am Nationalfeiertag wegen Corona: Rund um solche Staatsakte stehen stets Bewaffnete für den Worst Case bereit.
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Vier Tage vor seiner Bluttat, konkret am 29. Oktober, erschien der spätere Attentäter zum letzten Mal bei seinem Betreuer, wie Moussa Al-Hassan Diaw vom Deradikalisierungsverein Derad bestätigt – und dabei ging es auch um sein Interesse am Bundesheer, aber auch um seine Gewissenskonflikte, dass er im Ernstfall vielleicht gar gegen Muslime kämpfen müsste.

In islamistischen Kreisen, so erzählt Diaw im Gespräch mit dem STANDARD, beschäftigt Jihadisten im wehrfähigen Alter zudem oft, wie sie sich im Zuge der Angelobung am besten dem Gelöbnis auf die Republik und die hiesige Verfassung entziehen können – hier kursiere unter anderem die Empfehlung, in dem heiklen Moment nicht in den Chor der Kameraden ("Ich gelobe!") einzustimmen, sondern einfach demonstrativ den Mund zu halten. "Der Staat wird von ihnen abgelehnt", so Diaw.

In einer der beiden geschlossenen Wiener Moscheen, in der der Terrorist verkehrte, konkret in jener der Ottakringer Hasnerstraße, wirkten außerdem ältere Islamisten gern auf die heranwachsenden Männer ein, sich am besten überhaupt vor dem Dienst am Staat zu drücken. In der zweiten geschlossenen Moschee in der Meidlinger Murlingengasse hingegen soll laut Diaw ein Ableisten des Wehrdienstes beim Bundesheer nicht als problematisch gesehen werden.

Schwarze Liste

Oberst Michael Bauer, Sprecher des Bundesheeres, bestätigt, dass der Terrorist seinen Stellungstermin unmittelbar "vor sich" hatte. Fest steht auch, dass im Vorjahr von rund 44.800 Stellungspflichtigen gut 16.000 zum Wehrdienst eingezogen wurden. Das bedeutet, dass ein Gutteil dieser jungen Männer beim Militär auch den Umgang mit einem Sturmgewehr erlernt hat – wie siebt man da Jahr um Jahr angesichts dieser Vielzahl genau jene heraus, die nicht einmal in die Nähe derart letaler Waffen kommen dürfen?

Grundsätzlich gilt beim Bundesheer: Personen, die gegen das Strafrecht verstoßen haben oder unter Beobachtung der Polizei stehen, sind auf der Blacklist. Dazu gehören auch Personen, die sich Drogendelikte haben zuschulden kommen lassen.

Sperrvermerk für Gefährder

Bereits im Vorfeld der Musterung wird daher bei jedem Stellungspflichtigen auch penibel abgeglichen, ob bei ihm einschlägige Urteile der Justiz und damit entsprechende Ergebnisse der Exekutive vorliegen. Ist derart Schwerwiegendes vorhanden, kassiert der Betreffende einen Sperrvermerk – ohne dass ihm das mitgeteilt wird. Der Attentäter von Wien, erinnert Bauer, saß bereits wegen Terrordelikten ein – und hätte daher "gar keine Chance" auf ein Einrücken beim Bundesheer gehabt.

Auch im Zuge und nach dem Grundwehrdienst kommt es bei verdächtigem oder wenig vertrauenswürdigem Verhalten zu Einzelfallprüfungen, und es kann weitere Sperrvermerke setzen – und das schließt eine weitere Laufbahn bei der Miliz oder als Berufssoldat aus.

Wie der Dienst an der Waffe ist zudem auch der Zugang zu Munition beim Bundesheer streng reglementiert: Diese wird nur vor dem Scharfschießen und vor Einsätzen ausgegeben. Auch die Ausgabe von Munition an Wachsoldaten wird bei deren Dienstantritt und zu Dienstschluss genauestens kontrolliert und dokumentiert.

Martialische Ehrenaufstellungen

Und für feierliche Staatsakte, an denen der Bundespräsident als Oberbefehlshaber und die Regierungsspitzen teilnehmen, kann Bauer zumindest dafür Entwarnung geben: Wann immer dort Soldaten für eine Ehrenaufstellung aufmarschieren, findet sich kein Schuss in deren Gewehren.

Allerdings: Für den Worst Case stehen rund um diese Szenerien freilich stets ausreichend Bewaffnete bereit. (David Krutzler, Nina Weißensteiner, 11.11.2020)