Oberösterreich sei "Corona-Hotspot der Republik", schreiben oberösterreichische Zeitungen. Mit 10. November waren 12.850 Landsleute mit dem Coronavirus infiziert, und binnen 24 Stunden waren 1183 Neuinfizierte hinzugekommen. Fast doppelt so viele Neuinfektionen wie in Niederösterreich oder der Steiermark."Die Lage ist ernst, sogar sehr ernst", betont die oberösterreichische Gesundheitslandesrätin Christine Haberlander (ÖVP).

Und nicht nur in Oberösterreich droht der Notstand. Die Regierung will diese Woche über eine Verschärfung der Maßnahmen entscheiden. Der Vorwurf steht im Raum, dass man über den Sommer geschlafen und vieles versäumt hat, unter anderem auch entsprechende Vorbereitungen für die Schulen.

Nicht nur in Oberösterreich droht der Notstand.
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Doch die Experteneinschätzung klang zumindest im schwerst betroffenen Oberösterreich noch vor knapp zwei Monaten ganz anders. Am 18. September veranstaltete die Ärztekammer für Oberösterreich eine Pressekonferenz; ein Experte nach dem anderen übte sich in Beschwichtigung: "Viren gibt es schon immer, und wir leben damit. Das soll keine Bagatellisierung sein, wir wollen aber die Angst herausnehmen und aus der Schockstarre holen", sagte Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer für Oberösterreich. Franz Allerberger, Chef der Gesundheitsagentur Ages, forderte Verhältnismäßigkeit ein: "Die Hoffnung, dass wir das Virus mit strengen Maßnahmen ausrotten können, können wir abhaken."

Labortsunami

Massiv daneben lag Petra Apfalter, Leiterin des Instituts für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin am Ordensklinikum Linz: "Wir haben keine zweite Welle, sondern einen technischen Labortsunami. Die zweite Welle ist der Teststrategie geschuldet, aber nicht den Erkrankungszahlen." Der Grazer Gesundheitswissenschafter Martin Sprenger hielt wenig von den Einschränkungen bei Feiern: "Verbieten wir Partys wegen anderer Gesundheitsrisiken? Nein." (In einer früheren Kolumne wurde dieser Ausspruch Allerberger zugeschrieben, Anm.). Und: "Liebe Politik, kein Grund zur Panik, kommt’s wieder runter!"

Inzwischen sieht die Sache ganz anders aus. In Oberösterreich sind 98 Prozent aller für Corona-Patienten reservierten Intensivbetten belegt.

Es ist ja nicht so, dass es keine Warnungen gegeben hätte. Der Statistikprofessor Erich Neuwirth, der einen detaillierten Blog betreibt (https://just-the-covid-facts.neuwirth.priv.at), hat schon Anfang September den jetzigen Anstieg und somit die "Zweite Welle" vorausgesagt. Anfang November meinte er, er hätte den damals implementierten Teil-Lockdown schon eine Woche früher beschlossen – "wenn mich Kanzler Kurz gefragt hätte".

Auch jetzt drängt sich das Gefühl auf, dass zu lange zugewartet wird. Der Virologe Richard Greil vom Uniklinikum Salzburg sagte, die Politik sei zu zögerlich gewesen, der Lockdown komme um sechs Wochen zu spät. Man sei bei der Krankenhausbelegung in eine"sehr kritische Situation geraten, die auch vorherzusehen war". Terror und US-Wahlen haben das Problem Corona etwas aus dem öffentlichen Bewusstsein gedrängt. Aber die Bagatellisierung von manchen und der daraus resultierende Zeitverlust war offensichtlich grundfalsch. (Hans Rauscher, 10.11.2020)