Kurz flog am Dienstag nach Paris, wo nach einem persönlichen Gespräch mit Macron auch eine Videokonferenz mit Merkel, EU-Ratspräsident Michel und Kommissionspräsidentin von der Leyen stattfand.

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Paris/Wien – Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist am Dienstag nach Paris geflogen, wo nach einem persönlichen Gespräch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Élysée-Palast auch eine Videokonferenz mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sowie EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stattfand. Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte nahm an der Videokonferenz zu einer europäischen Antwort auf die Bedrohung durch den Terrorismus teil.

Am Freitag werden sich zudem die EU-Innenminister mit dem Kampf gegen Terrorismus beschäftigen, und das Thema soll auch beim Europäischen Rat im Dezember behandelt werden.

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz nannte Macron die Terrorbedrohung eine europäische Realität, die ein rasches, gemeinsames Vorgehen erfordere. Er trete für die Gründung eines internen EU-Sicherheitsrates ein. Man habe sich am Dienstag dafür ausgesprochen, dass die Verordnung zur raschen Löschung terroristischer Inhalte im Internet rasch vom EU-Parlament verabschiedet werde. Zudem stehe ein wichtiges Reformvorhaben an: Man müsse die Grenzpolitik der Schengenzone überarbeiten, so Macron, um die Reisefreiheit innerhalb Europas zu wahren. Es gelte, die Außengrenzen zu stärken. Dem pflichtete Kurz bei.

"Tickende Zeitbomben"

Der österreichische Kanzler bedankte sich für die internationale Solidarität nach dem Anschlag in Wien und betonte die Dringlichkeit einer gemeinsamen Vorgehensweise gegen den Terrorismus. Kurz warnte, dass in den kommenden Jahren viele Syrien-Rückkehrer oder IS-Sympathisanten europäische Gefängnisse verlassen würden und nannte diese "tickende Zeitbomben". Man müsse ihre Freiheiten einschränken, um "unsere Freiheit" zu schützen.

Registrierung bei Einreise

Die deutsche Kanzlerin erinnerte in ihrem Statement anschließend an den Terroranschlag in Dresden und nannte die Attacken "Anschläge auf unsere Art zu leben". Sie wolle aber festhalten, dass es nicht um den Kampf zwischen Islam und Christentum, sondern vielmehr um eine Auseinandersetzung des demokratischen Modells mit Terrorismus gehe.

Dabei wichtig seien Maßnahmen wie das Entry/Exit System (EES), das 2022 fertiggestellt werden soll und ein IT-System ist, das die Grenzüberschreitungen von Drittstaatsangehörigen in und aus dem Schengenraum überwacht und dokumentiert. Ebenso wichtig sei das geplante European Travel Information and Authorization System (ETIA), das 2023 in Kraft treten soll und Reisende aus visabefreiten Ländern in den Schengenraum registriert.

Imam-Ausbildung im Land

Merkel betont zudem, dass in Deutschland der Kontakt zu islamischen Vereinen und Organisationen gesucht wird, um das Thema auch gesellschaftlich anzusprechen. Erst am Dienstag habe die Islamkonferenz getagt – auf der Agenda stand die Imam-Ausbildung, die laut Merkel in den jeweiligen Ländern stattfinden muss.

Kommissionspräsidentin von der Leyen kündigte anschließend für den 9. Dezember die Präsentation einer neuen europäischen Agenda zur Terrorismusbekämpfung an. Man müsse auf drei Ebenen Fortschritte erzielen: bei der Prävention, dem Schutz der Außengrenzen und in der operativen Umsetzung. In Sachen Vorbeugung sei wichtig, dass jungen Menschen Perspektiven gezeigt werden. In dem Zusammenhang werde die Kommission mit 25. November einen europäischen Aktionsplan für Integration und Inklusion vorschlagen.

Von der Leyen will auch die Arbeit des europäischen Netzwerks gegen Radikalisierung vorantreiben. Dabei würden mehr als 5.000 "Erfahrene", wie sie sie nennt, mitarbeiten, also etwa Sozialarbeiter, Lehrer oder Ärzte, die mit den jungen Menschen schon jetzt zusammenarbeiten.

Verantwortung der Online-Plattformen

Bis Jahresende soll zudem eine Richtlinie in Kraft treten, die die Verbreitung terroristischer Inhalte im Netz behandelt. Vor allem die Geschwindigkeit, mit der diese gelöscht werden, soll im Mittelpunkt stehen. Dazu wird in den nächsten Wochen auch der sogenannte Digital Services Act vorgelegt, der große Internet-Plattformen verstärkt in die Pflicht nimmt. Es sei klar, dass die Plattformen nicht ihr gesamtes Angebot überblicken können, sagt von der Leyen, aber in dem Moment, in dem es einen Hinweis auf terroristische Inhalte gebe, müssten sie tätig werden: "Umso größer die Plattform, desto größer die Verantwortung."

Bis Mai 2021 werden Erkenntnisse aus dem so genannten Schengenforum in einen Kommissionsvorschlag zu einer neuen Schengenstrategie fließen. Unter anderem soll die Polizeieinheit Europol mehr Zuständigkeiten erhalten. Lücken im Schengen-Informationssystem sollen so schnell wie möglich geschlossen werden, sagt von der Leyen. So sei es kein Aufwand, alle Einreisenden in den Schengenraum zu prüfen – dazu bedarf es nur dessen, dass der Reisepass durch den Scanner gezogen wird. Im Moment werden nur rund 80 Prozent der Einreisenden registriert. (bbl, fmo, APA, 10.11.2020)