Der Schriftsteller Xaver Bayer gilt im Literaturbetrieb als Außenseiter, schreibt aber treffsicher über das Heute.

Foto: Klaus Pichler

Lange hat der Schriftsteller Xaver Bayer in der Wiener Innenstadt gewohnt, dann ist er Richtung Gürtel übersiedelt. Auch sonst meidet der am Montag mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnete Autor jeden Trubel. Er gilt deshalb als Außenseiter des Literaturbetriebs, manchen gar als unbequem. "Es ist wichtig, als Künstler außerhalb der Gesellschaft zu stehen, weil man dann einen anderen Blick auf sie hat", sagt der 43-Jährige dazu. In dem nun prämierten Buch Geschichten mit Marianne rührt er in teils subtil verschobenen und teils offen aberwitzigen Szenen an Wunden und Schreckensszenarien unserer Gesellschaft.

STANDARD: In Ihren Erzählungen gibt es viel Gewalt, darunter einen Terrorangriff in der Wiener Innenstadt. Sie haben bis vor kurzem in dem Bereich gewohnt, wo vorige Woche der Anschlag stattgefunden hat. Wie ist es Ihnen damit gegangen, wo Sie doch solche Szenen beschreiben?

Bayer: Ich habe zwanzig Jahre lang ums Eck gewohnt. Schon im letzten Jahrzehnt hat sich dieser Bezirk in ein unangenehmes Tourismus-Disneyland und Superreichen-Einkaufsareal gewandelt, und ich bin froh, dass ich nicht mehr dort wohne. In den letzten Jahren lag es irgendwie in der Luft, dass es dort einmal einen Terroranschlag geben wird, aus dieser Ahnung ist die erste Geschichte im Buch entstanden.

STANDARD: In der Szene schauen die beiden Protagonisten der Gewalt auf der Straße nicht nur aus einer teuren Wohnung ungerührt zu, sondern schießen sogar selbst aus dem Fenster!

Bayer: Diese Wohnung ist voll mit Kunst aus aller Welt, was darauf hindeuten soll, dass der Wohlstand, den Europa genießt, auch durch Verbrechen geschaffen wurde. Dass wir wenig Interesse daran haben, solche Ungerechtigkeiten zu ändern, ist das Dilemma einer verwöhnten Gesellschaft.

STANDARD: Andere Geschichten im Band erzählen von Ausschreitungen beim Perchtenlauf, digitaler Entfremdung oder einer Energiekrise. In Ihren Erzählungen ist die Welt oft kaputt ...

Bayer: Man braucht ja nur aus dem Fenster zu schauen, um zu merken, dass wir im Begriff sind, die Welt kaputtzumachen. Wo soll man da anfangen ... Im Moment bereiten mir aber die Pandemie und der Attentäter weniger Sorgen als die systematische Zerstörung der Umwelt. Dagegen etwas zu unternehmen wäre das Dringendste. Nur sieht es leider in einer Welt, die alle Karten auf den ewigen Fortschritt gesetzt hat oder vielleicht sogar unweigerlich darauf setzen muss, schlecht damit aus.

STANDARD: Gleichzeitig sind diese Geschichten sehr humorvoll, skurril, manche grenzen fast an Nonsens.

Bayer: Meine Geschichten werden umso humorvoller, desto niedergeschlagener ich beim Schreiben bin, und umgekehrt. Ich denke ohnehin, dass es gerade in der heutigen Zeit wichtig ist, dass man eine gewisse Gelassenheit und einen Humor im Umgang miteinander wiederfindet, damit man sich über Meinungsverschiedenheiten hinweg auch die Hand reichen kann.

STANDARD: Sie schreiben alle Ihre Texte mit der Hand ...

Bayer: Ja, weil so das Verinnerlichte bei mir unmittelbarer hervortritt. Ich schreibe sehr viel konzentrierter, wenn ich mit der Hand schreibe, da bin ich mehr bei mir. Die zweite Station ist dann, dass ich das Handgeschriebene in den Computer übertrage. Das ist wiederum eine wichtige Korrekturinstanz.

STANDARD: Ihre Geschichten wirken sehr gerade, ohne Abschweifungen und Ablenkungen. Kürzen Sie viel?

Bayer: Direkt auf dem Computer zu schreiben birgt den Nachteil, dass man viel zu leicht etwas wieder löschen kann. Am Papier kann man etwas zwar durchstreichen, aber wenn es einem später doch besser gefällt, ist es noch zu sehen. Wie bei allem ist eigentlich das, was langsamer vonstattengeht und mehr Mühe macht, im Resultat besser.

STANDARD: Sie schreiben seit Jahren kurze Formen. Warum keine Romane?

Bayer: Ich habe anfangs Romane geschrieben, aber kürzere Texte scheinen mir näher an der Zeit zu sein. Ich kann schneller auf Regungen von innen wie außen reagieren. Ein Roman erfordert eine andere Herangehensweise. Ich glaube, dass Erzählungen dadurch, dass den Menschen wegen der ständigen Ablenkung durch Smartphones immer mehr die Konzentrationsfähigkeit abhandenkommt, als Form mehr zur Geltung kommen werden.

STANDARD: Einstweilen aber verkaufen sich kurze Formen schlechter. Sie mögen Strategien und Spielregeln im Literaturbetrieb generell nicht ...

Bayer: Es hat mich deshalb schon eher überrascht, macht mich aber auch ein bisschen stolz, dass ich diese Auszeichnung nun bekommen habe. Ich habe auch keinen Agenten, keine Homepage, bin nicht in den sozialen Netzwerken. Ich bin nicht technikfeindlich und kenne mich mit den Entwicklungen aus. Aber man sollte Menschen durch Bildung dazu kriegen, dass sie mehr offline gehen. Dann sehen sie vielleicht mit anderen Augen, was für Zerstörungen um uns stattfinden. Ebenso muss man jungen Leuten, die heute zu schreiben anfangen, sagen, es braucht nicht das auf Marketing ausgerichtete Gesamtpaket. Man muss nur einen Stift in die Hand nehmen und schreiben und dazu lesen! Der Literaturbetrieb ist ja so langweilig und durchschaubar geworden, weil nur noch auf Verkauf geschielt wird. Und in Schreibschulen lernt man vorgeblich, wie man es richtig macht. Aber das ist risikolos. Was gibt es denn Langweiligeres, als im Reisebüro einen Abenteuerurlaub zu buchen, anstatt allein in die Wildnis zu gehen?

STANDARD: Sie können nicht zu Hause schreiben. Ist es dort zu bequem?

Bayer: Ich trenne mein Daheimsein und mein Arbeiten gerne.

STANDARD: Was muss ein Ort haben, damit er zum Schreiben passt?

Bayer: Herbert Achternbusch hat gesagt, man muss auch hin und wieder aus dem Häuschen sein. In beiden Wortsinnen. Ein Ort, an dem ich schreiben kann, muss mich herausfordern.

STANDARD: Welche Orte fordern Sie gerade am meisten heraus?

Bayer: Das verrate ich nicht. (Michael Wurmitzer, 11.11.2020)