Die Zeit vom 8. Dezember 1903

Das Ohr des Millionärs

Das gekaufte Ohr, das Dr. Nelden einem New Yorker Millionär angenäht hat, ist angeheilt. Der Bankier trägt jetzt also ein Ohr von dem deutschen Gastwirt, der ihm eins verkaufte. Wie wir bereits meldeten, hat Dr. Nelden zuerst nur eine Hälfte des fremden Ohres dem Bankier angenäht. Sechs Tage lang mussten beide mit den Köpfen aneinander liegen, bis die eine Hälfte so weit beim Bankier angeheilt war und so viel Blutzufluss erhielt, dass sie von dem neuen Besitzer ernährt werden konnte. Die beiden Menschen lagen in einer eigens angefertigten Riesenbettstelle mit den Köpfen zusammen, mit den Beinen aber nach entgegengesetzter Richtung. 
Der Fall ist, mit Recht bemerkt, kein sonderlich großes chirurgisches Kunststück; auch unsere Chirurgen würden das im ähnlichen Falle jeden Tag fertig bringen, aber Dr. Nelden scheint, da in Amerika so ausführlich über die Operation berichtet wird, doch seinen besonderen Zweck mit der Geschichte gehabt zu haben, wenn das Ganze überhaupt nicht amerikanischer Humbug ist, als Geklapper für Dr. Nelden in Szene gesetzt. 

Arbeiterwille am 8. Dezember 1903

Die Schaulust der amerikanischen Frauen

hat dieser Tage wiederum zu neuen Skandalszenen geführt.
Am letzten Mittwoch wurde Referent Lindes in der Grace-Kirche zu Newark zum Bischof von Newark geweiht. Ein großes Polizeiaufgebot war herangezogen worden, konnte aber dem Ansturm der Weiber nicht widerstehen, die nicht nur die kirchliche Handlung selbst sehen, sondern auch gleichzeitig von anderen gesehen werden wollten. Nachdem die in dichter Menge zusammengedrängten Frauen zuerst dem Zuge von etwa 20 Bischöfen, 250 Priestern und 50 Mesnern über den Kirchplatz zugesehen hatten, rasten sie in wildem Sturm auf die zwei schmalen eisernen Tore los, durch die man in die Kirche gelangte. Dabei wurde das Gedränge derart gefährlich, dass die Polizei sich genötigt sah, die Andrängenden immer nur in Gruppen von etwa 10 Personen einzulassen. In dem Kampfe am Eingange wurden mehreren Frauen die Kleider in Fetzen gerissen. In der Kirche selbst setzten sie sich vielfach auf die Lehnen der Kirchenstühle um einen besseren Überblick zu haben.

Arbeiterwille am 8. Dezember 1903

Ein Opfer de Soldatenschinderei

"Hängens Ihnen auf!" Diesen liebevollen Auftrag seines Vorgesetzten hat der Rekrut Dorighelli von der ersten Compagnie des 4. Tiroler Kaiserjäger-Regiments in Salzburg am Montag voriger Woche abends buchstäblich ausgeführt. 
Dorighelli lernte sehr schwer und wurde infolgedessen mit der in Österreich üblichen Abrichtungsmethode behandelt. Am genannten Tage vormittags rief ein Kadett dem Dorighelli zu: "Hängens Ihnen auf!" Abends ging Dorighelli hin und erhängte sich. 

Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung am 8. Dezember 1903

Vermögen Nebensache

Herr, Ende 30er, in glänzenden Vermögensverhältnissen, lange Jahre im Ausland gewesen, von einnehmendem Äußeren, sucht, da es ihm zurzeit noch an Bekanntschaft in der Gesellschaft mangelt, eine feingebildete Dame von ansprechendem Exterieur als Lebensgefährtin.
Herzensbildung, Sprachkenntnisse, Gemüt ist Bedingung. Anverwandte, Eltern oder auch die betreffende Dame selbst werden höflich ersucht, zwecks Annäherung vertrauensvoll ausführliche nähere Angaben mit Fotografie zu übermitteln an "Colorado", Postamt Grunewald.
Strengste unbedingte gegenseitige Diskretion.

Staatsbibliothek zu Berlin | ZEFYS

(Kurt Tutschek, 8.12.2020)

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