Eine Aufnahme von der Großrazzia am Montag. Gleichzeitig wurden in vier Bundesländern etwa 60 Hausdurchsuchungen durchgeführt. Die Beschuldigten sind bisher jedoch eher wortkarg.

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Einen Tag nach der frühmorgendlichen Razzia im Umfeld der Muslimbruderschaft und acht Tage nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt gehen die Wogen weiter hoch – was Verfehlungen des Innenministeriums und die Razzien an sich angeht, und auch in der Frage, wer vorab davon wusste. Im Zentrum der politischen Debatte steht Herbert Kickl, Ex-Innenminister und nun FPÖ-Klubchef.

Der wusste schon vor der Operation, dass sie stattfinden wird. Wie mittlerweile bekannt ist, wurde die "Operation Ramses", von der Kickl kurz nach dem Attentat sprach, in "Operation Luxor" umbenannt und verschoben. Kickl sprach von zwei weiteren geplanten Operationen, eine soll sich auch um den Attentäter von vorigem Montag gedreht haben.

FPÖ gegen ÖVP

Die Operation Ramses startete Mitte 2019 und damit nach Kickls Amtszeit, was eine Informationslücke im ÖVP-geführten Innenministerium offenlegt. Grund für die ÖVP, sich nun mit harschen Worten auf Kickl einzuschießen. Er habe in seiner Amtszeit "nicht nur Pferdemist im Innenministerium gelassen", sagt Klubchef August Wöginger bei einer Pressekonferenz am Dienstag. Außerdem habe Kickl mit seinen Informationen Beamte verunsichert und in Gefahr gebracht. Man plane daher innerhalb der nächsten zwei Wochen ein Treffen des geheimen ständigen Unterausschusses des Innenausschusses, um sich über weitere Details zum Datenleck auszutauschen.

Deutlich konkreter wurde man in der ÖVP bislang aber nicht. Allerdings werden, was den Terroranschlag betrifft, immer mehr Verfehlungen des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bekannt.

Die FPÖ wiederum spricht von Vertuschung seitens der ÖVP und von "hilflosen Attacken" gegen Kickl. Sie forderte einmal mehr den Rücktritt Nehammers und stattdessen einen "unabhängigen Innenminister". Der von der FPÖ nominierte Volksanwalt Walter Rosenkranz kündigte eine Prüfung aller Vorgänge an – auch was die Veröffentlichung von Geheimnissen angeht.

Moscheen geschlossen, Verein soll aufgelöst werden

Unklarheit gab es zunächst auch darüber, wie es mit der von Nehammer und Kultusamtsministerin Susanne Raab (ÖVP) angekündigten Schließung einer Moschee im zwölften Bezirk aussieht, in der auch der Attentäter verkehrt haben soll. Einem Beitrag des ORF zufolge gingen dort noch Personen zum Gebet ein und aus, nachdem dort Polizeieinsätze zur Schließung erfolgt seien.

Auf Nachfrage heißt es aus Raabs Ressort, dass die Moschee nach dem Islamgesetz geschlossen worden sei. Und weiter: "Fakt ist: Es darf dort nicht mehr gebetet werden. Die Landespolizeidirektion Wien führt daher im Zugangsbereich der Moschee verstärkt Kontrollen mit zivilen und uniformierten Kräften durch." In einer schriftlichen Stellungnahme heißt es, die Auflösungsgründe würden eingehend geprüft, ein Vereinsauflösungsbescheid werde gerade erlassen.

Zurückhaltende Beschudigte

Was hingegen die davon unabhängige Razzia im Umfeld der Muslimbruderschaft betrifft, wird nach wie vor gegen 70 Personen ermittelt. Es wurden "viele Datenträger" sichergestellt, wie es von der Staatsanwaltschaft Graz zum STANDARD heißt. Konten von Beschuldigten und Vereinen wurden eingefroren. Festnahmen habe es nicht gegeben, sondern nur Vorführungen, betont die Staatsanwaltschaft. Es befinde sich derzeit auch kein Haftantrag in Vorbereitung.

Die Einvernahmen seien mittlerweile alle abgeschlossen. Die Personen seien mit Auskünften "sehr zurückhaltend", gewesen, ist von der Staatsanwaltschaft zudem zu erfahren. Einige hätten die Aussage verweigert.

Auch mit Stand der bisherigen Ermittlungen gebe es nach wie vor keinen Zusammenhang zwischen der Operation Luxor und den Ermittlungen zum Anschlag in Wien. Dem Vernehmen nach befanden sich unter den Einvernommenen auch ein Wissenschafter sowie mehrere Personen aus dem Umfeld der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ). Auch im Islamischen Kulturzentrum Graz sei Polizei vor Ort gewesen, bestätigt die IGGÖ. Wer genau im Visier der Behörden stand, ist der Glaubensgemeinschaft allerdings noch unklar.

Sympathie für Brüder

Auch eine Islam-Vortragsreihe an der Grazer Universität aus dem Jahr 2008 poppt jetzt im Zusammenhang mit der Razzia wieder auf. Gesponsert und unterstützt von der Stadt Graz, dem Land Steiermark oder etwa der Grünen Akademie hatte der Grazer Völkerrechtler Wolfgang Benedek mit dem damaligen Leiter der Islamischen Glaubensgemeinschaft Graz eine Vortragsreihe organisiert. Von 14 internationalen Gastrednern an der Grazer Universität kam gut die Hälfte aus dem Umkreis der Muslimbruderschaften.

Nunmehr ist der Co-Organisator der Reihe, K. M., ins Visier der polizeilichen Razzia geraten. Er gilt als führender Kopf der hiesigen Muslimbruderschaftsszene.

Dieser hatte vor Jahren in einem Interview mit der Wiener Zeitung kein Hehl aus seiner Sympathie für die Bruderschaft gemacht: "Wir unterstützen nur das Gedankengut der Muslimbrüder. Wir nennen es den Weg der Mitte. Wir sind der moderateste Teil innerhalb der religiösen Muslime." Er habe seit seiner Studienzeit in Ägypten "gute Beziehungen zu vielen Persönlichkeiten dort, auch zu Muslimbrüdern".

"Ja, er ist verhört worden, hab ich gehört", sagt Benedek im Gespräch mit dem STANDARD. Ihm selbst sei aber "nie irgendeine extremistische Äußerung" seines damaligen Veranstaltungspartners aufgefallen. "Er hatte die Idee, diese Reihe zu organisieren. Die Referenten sind von ihm und von mir ausgesucht worden. Ob es von dem einen oder anderen einen islamistischen Hintergrund gegeben hat, ist mir bis heute nicht bewusst." Er selbst habe "keine wissentlichen Kontakte zu hochrangigen Muslimbrüdern". (Vanessa Gaigg, Walter Müller, Gabriele Scherndl, 10.11.2020)