Im Gastkommentar fordert Heinz Mayer eine genaue Untersuchung des behördlichen Versagens. Und er skizziert, wie ein neuer Straftatbestand im Umgang mit Gefährdern aussehen könnte.

Die ÖVP macht beim Thema Sicherungshaft Druck. Rechtliche Verschärfungen gegen Gefährder kann sich auch der grüne Koalitionspartner vorstellen.
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Das Attentat von Wien hat wieder einmal einen bekannten Reflex politischer Entscheidungsträger gezeigt. Ohne dass die näheren Umstände bekannt waren, wurde der Ruf nach neuen gesetzlichen Möglichkeiten laut; da durfte auch der Ruf nach einer Sicherungs-haft nicht fehlen. Dass eine solche auch in Kreisen der SPÖ Anhänger findet und sich auch maßgebliche Repräsentanten der Grünen nicht zu einem klaren "Nein" durchringen können, ist Anlass zur Sorge. Eine echte Krisenbewältigung schaut anders aus: Anstatt rechten Einsperrfantasien zu huldigen, sollte einmal genau untersucht werden, was schiefgelaufen ist. In diesem Fall scheint eine solche Untersuchung besonders dringlich zu sein. Nach all dem, was in den letzten Tagen bekannt geworden ist, liegt wohl massives behördliches Versagen vor. Es ist daher zu begrüßen, wenn die Einsetzung einer Untersuchungskommission geplant ist. Diese darf aber keine Reinwaschungskommission sein, sondern muss mit unabhängigen Experten und Sachverständigen besetzt werden. Sie muss ihre Arbeit ohne politische Einflussnahme durchführen können.

Man kann freilich nicht im Vorhinein ausschließen, dass tatsächlich neue Möglichkeiten für die Behörden notwendig sind. Diese müssen sich aber im Rahmen der Verfassung halten und dürfen nicht bloß populistischen Zielen dienen; für politische Propaganda ist in dieser Situation kein Platz.

Neue Befugnisse

Das Ziel neuer Befugnisse der Behörden müsste es sein, Personen, die aufgrund konkreter Umstände als gefährlich einzustufen sind, aus dem Verkehr zu ziehen, bevor sie tatsächlich Unheil anrichten. Hier könnte man daran denken, eine gerichtliche Strafbarkeit solcher Vorbereitungshandlungen zu normieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine kriminelle Straftat münden.

Man muss sich dessen bewusst sein, dass hier ein rechtspolitisch höchst sensibler Bereich angesprochen ist. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit eines Verhaltens in die bloße Vorbereitung dieses Verhaltens darf nicht dazu führen, dass gewöhnliches und übliches Verhalten plötzlich gerichtlich strafbar wird. Es müsste daher ein Tatbestand geschaffen werden, der die gerichtliche Strafbarkeit an bestimmte konkrete Tatsachen knüpft, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in ein schweres strafrechtliches Delikt münden.

Ein Beispiel

Um das Gemeinte am Beispiel des Attentats von Wien zu verdeutlichen: Wenn ein wegen eines Terrordelikts Verurteilter bedingt entlassen wird, nach wie vor nicht als ungefährlich gilt, sich mit Islamisten austauscht und dann noch versucht, Munition für eine Kalaschnikow zu kaufen, dann sollte dies für eine Strafbarkeit ausreichen. Munition für eine Kalaschnikow kauft sich nur der, der eine solche bereits hat oder im Begriff ist, eine solche zu erwerben. Da man mit einer Kalaschnikow üblicherweise nicht auf Luftballons oder Mäuse schießt, sondern auf Menschen, sollte hier schon eine Strafbarkeit gegeben sein.

Wo man die Grenze zwischen straflosem und strafbarem Verhalten zieht, ist eine heikle Angelegenheit; so dürfte zum Beispiel der Erwerb eins langen scharfen Küchenmessers für sich allein nicht die Strafbarkeit begründen, auch wenn man weiß, dass manche Täter derartige Messer zur grausamen Tötung von Menschen benützen. Wenn der Erwerber allerdings gar keine Küche hat, als nicht ungefährlicher Islamist gilt, bereits wegen eines Terrordelikts vorbestraft ist oder sich in sozialen Medien Gewaltfantasien hingibt, dann sollte hier das Strafrecht eingreifen.

Notwendige Balance

Es ist völlig klar, dass man sich mit solchen Regelungen auf ein außerordentlich heikles Gebiet begibt. Populistischen Versuchungen ist unbedingt Einhalt zu gebieten, ein solcher neuer Straftatbestand muss Missbrauch so weit wie möglich verhindern.

Der hier vorgeschlagene Weg wäre sowohl verfassungsrechtlich wie auch menschenrechtskonform, möglich. Er hätte den Vorteil, dass ein ordentliches Gericht die spezifische Gefährlichkeit eines Menschen beurteilen muss. Es müsste ein gerichtliches Strafverfahren durchgeführt werden, das auch dem Betroffenen Rechtsmittel gewährt. Das Gericht könnte in solchen Fällen – bei fortdauernder Gefährlichkeit des Betreffenden – nach Abschluss der Strafhaft einen Maßnahmenvollzug anordnen. Es muss klar sein, dass auch dieser Weg für sich allein keine absolute Sicherheit bringen kann; eine solche kann es auch nicht geben, wenn wir nicht ganz auf Freiheit verzichten wollen. Eine Balance ist daher gefragt.

Meine strafrechtlichen Kollegen möchte ich um Nachsicht bitten, dass ich in ihren Fachbereich eingedrungen bin. Hier geht es aber nicht nur um Strafrecht, sondern auch um das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf persönliche Freiheit, das nicht den Anbetern einer verfassungswidrigen und menschenrechtswidrigen Sicherungshaft überlassen werden soll. (Heinz Mayer, 11.11.2020)