Zehn Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes verdienen Frauen in Schnitt in Österreich um 51 Prozent weniger.

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Die Zahl der Kinderbetreuungsplätze in Österreich gehört ausgebaut. Das ist eine der Forderungen, zu denen sich fast alle Parteien und die Sozialpartner bekennen. Eben erst verlangten ÖGB, Industriellenvereinigung, Wirtschafts- und Arbeiterkammer einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr ab 2025.

Die Idee dahinter ist klar: Gibt es mehr Krippen- und Kindergartenplätze, tun sich Frauen leichter, Karriere und Kind zu vereinbaren. Sie können früher in den Job zurück, mehr Stunden arbeiten, also besser verdienen. Es geht somit um mehr Geschlechtergerechtigkeit.

Aber was, wenn all diese Annahmen nicht stimmen? Wenn der Ausbau von Betreuungsplätzen zumindest für sich allein genommen gar nichts verändert? Zu diesem Ergebnis kommt eine soeben vorgestellte Studie, an der Josef Zweimüller und Johanna Posch von der Universität Zürich sowie Forscher von der London School of Economics, der University of Princeton und der University of Edinburgh mitgearbeitet haben.

Die Gruppe hat untersucht, welche Effekte familienpolitische Maßnahmen in Österreich in den vergangenen 60 Jahren hatten. Warum gerade Österreich? Weil hier zahlreiche Reformen und Veränderungen stattfanden, die das Land zu einem Laboratorium machen.

Der interessanteste Teil der Studie beschäftigt sich mit der Wirkung des Ausbaus von Kinderbetreuungsplätzen. Vor etwas mehr als einem Jahr hat dasselbe Forscherteam in einer ersten Arbeit gezeigt, dass Frauen in Österreich, wie in anderen Länder auch, starke Nachteile am Arbeitsmarkt haben, nachdem sie ein Kind bekommen haben. Zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes liegt das Erwerbseinkommen von Frauen in Österreich im Schnitt um 51 Prozent unter dem Wert im Jahr vor der Geburt.

Einkommen der Mütter sinken um den Faktor ...

In der aktuellen Studie wurde analysiert, ob sich dieser Wert ändert, wenn die Zahl der Kinderbetreuungsplätze erhöht wird. Grundlage der Berechnung sind Zahlen dazu, wie viele Kinder in österreichischen Gemeinden leben und wie viele Kinderbetreuungsplätze es in Relation dazu gibt. Hier gab es einen großen Wandel.

Kindergarten ersetzt die Großeltern

Anfang der 1970er-Jahre besuchten nur rund zwei Prozent der Kinder zwischen ein und zwei Jahren eine Krippe. Inzwischen sind es mehr als 25 Prozent. Bei Kindergartenkindern zwischen drei und fünf stieg der Wert von 40 auf über 90 Prozent. Während in Wien der Anteil der betreuten Kinder im Vergleich zu anderen Gemeinden immer schon hoch war, gab es seit den 1990er-Jahren in anderen Regionen Österreichs einen Aufholprozess.

Manche Gemeinden schlossen zu Wien bei Betreuungsplätzen auf. Andere kamen heran, in manchen Orten änderte sich wenig. Zweimüller und seine Kollegen unterteilen die Gemeinden in zwei Kategorien: einerseits jene, in denen das Betreuungsangebot in Krippen und Kindergärten um mindestens 20 Prozent im Verhältnis zu den im Ort lebenden Kindern ausgeweitet wurde. Dabei wurde nicht nur eine Aufstockung der Plätze berücksichtigt, sondern auch eine Erweiterung der Öffnungszeiten. In der anderen Kategorie waren Gemeinden, in denen das nicht der Fall war.

Österreich wird zum Laboratorium

Ergebnis: Die Gehaltsverluste der Mütter entwickeln sich in beiden Gruppen gleich. Fünf oder zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes ist der Einkommensverlust in beiden Gruppen gleich stark. Die Forscher kontrollieren ihre Ergebnisse, sehen sich an, wie die Tendenz bei Gehältern vor der Geburt war, ob also Veränderungen hier die spätere Entwicklung erklären können. Nein. Sie analysieren zudem, ob sich die Zahl der betreuten Kinder auch wirklich dort, wo es mehr Angebot gab, erhöht hat. Ja

Warum also fallen die Lohnverluste gleich aus? Der größte Teil der Gehaltseinbußen entsteht, weil Mütter die Arbeitszeit reduzieren, sagt Ökonom Zweimüller. Viele Frauen kehren nach einer Geburt nur in Teilzeit auf den Arbeitsmarkt zurück, manche gar nicht. Mehr Betreuungsplätze bedeuten eben nicht, dass Mütter mehr arbeiten gehen. "Der Ausbau der Kindergartenplätze scheint andere Formen der Betreuung, etwa bei den Großeltern, zu substituieren", sagt Zweimüller.

Die Studie liefert noch andere spannende Aspekte: In Gemeinden, in denen das Betreuungsangebot schon überdurchschnittlich hoch war, etwa in Wien, sind die Einkommensverluste der Mütter geringer: Zehn Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes verdienen Frauen hier im Schnitt "nur" 45 Prozent weniger als im Jahr vor der Geburt.

Dauer der Karenz egal?

Aber: Dass das größere Angebot an Betreuungsplätzen für diese positive Differenz kausal ist, dafür fehlen Belege. Karrierebewusste Frauen könnten schon vorher in Gemeinden mit gutem Betreuungsangebot gezogen sein, heißt es in der Studie.

Analysiert wird in dem Paper zudem, was Reformen beim Karenzgeld bewirkt haben. Dieses wurde 1961 eingeführt, dann 1990, 1996, 2000 und 2008 reformiert, wobei sich vor allem die Dauer, die Eltern in Karenz gehen konnten, veränderte. Auch hier hat Familienpolitik kaum Einfluss: Egal ob Frauen länger oder kürzer in Karenz bleiben, sie verlieren später gleich viel Einkommen.

Was sind nun die Schlussfolgerungen aus alldem? "Wir sagen nicht, dass Familienpolitik obsolet ist", so Zweimüller. "Aber es wäre naiv zu glauben, dass man die Jobsituation von Frauen allein mit Familienpolitik, etwa mehr Kinderbetreuung, verbessern kann." Um tatsächlich für Gleichstellung zu sorgen, müssten sich die "Normen" in Köpfen ändern, Männer müssten einen größeren Anteil an Kinderbetreuung übernehmen, um Mütter umfassend zu entlasten, sagt Zweimüller.

Die Lohnschere zwischen Männern und Frauen ist übrigens im Untersuchungszeitraum der Studie seit den 50er-Jahren sehr wohl kleiner geworden, was vor allem daran lag, dass Frauen generell mehr und länger arbeiten. Zweimüller dazu: "Aber der Teil der Lohnschere, welcher auf die Geburt und Betreuung von Kindern zurückzuführen ist, hat sich in dieser Zeit kaum geändert." (András Szigetvari, 11.11.2020)