Das neue Lager in Kara Tepe musste erst aus dem Boden gestampft werden.

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Lidwina Dox ist für das Rote Kreuz auf der griechischen Insel Lesbos.

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Die Bewohner des Camps packen gerne mit an und graben Kanäle, die bei starken Regenfällen das Wasser ableiten sollen.

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Eines ist Lidwina Dox, Expertin des Roten Kreuzes, wichtig zu erwähnen: Das neue Lager für angekommene Migranten und Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos musste quasi von heute auf morgen aus dem Boden gestampft werden. Nein, das bedeutet nicht, dass es perfekt ist. Nein, das bedeutet nicht, dass Menschen über einen längeren Zeitraum in Camps leben sollen. Und: Nein, das Leben für die Angekommenen ist kein Campingurlaub. Aber: Die Helferinnen und Helfer im neuen Camp Kara Tepe arbeiten auf Hochtouren, um Sanitäranlagen zu installieren und die Unterkünfte winterfest zu machen. Denn auf Lesbos wird es bald noch kälter.

Anfang September ging das völlig überfüllte Flüchtlingslager Moria in Flammen auf. Bewohner sollen Container in Brand gesteckt haben, Verdächtige wurden bereits verhaftet. Über Nacht wurden rund 12.000 Menschen obdachlos, schliefen auf den Straßen oder in den Olivenhainen. Männer, Frauen und Kinder hatten noch weniger Perspektive als zuvor. Die griechischen Behörden reagierten und begannen mit dem Bau eines neuen Lagers neben einem bestehenden in Kara Tepe.

Bewohner: "Schlimmer als Moria"

Rund 7.500 Menschen leben in dem neuen Camp. Die Rotkreuz-Delegierte Dox ist für Trinkwasser, sanitäre Anlagen und Hygiene zuständig. Mittlerweile gibt es 46 Notfallduschen und zahlreiche selbstgebaute Duschplätze. Das Ziel seien aber Container – wie man sie von Festivals kennt – mit Toiletten und Duschen im Innenbereich. Außerdem fehlt noch Warmwasser. "Aber wir arbeiten daran", versichert Dox. Immerhin habe man es geschafft, pro Person 23 bis 25 Liter Trinkwasser pro Tag auszugeben. Und bei Bedarf ließe sich die Menge auch noch steigern.

Für den 30-jährigen Omid Alizada ist das neue Lager "schlimmer als Moria". Denn es gebe zu wenig Nahrung und zu wenig Medikamente. Letzteres trifft ihn vor allem, weil er in seiner Heimat Afghanistan als Apotheker tätig war. 2018 war er mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn nach Griechenland geflohen.

Menschen kommen sich nahe

Als die Covid-Krise auch die Lager der griechischen Inseln traf, startete er eine Aufklärungsinitiative. Das "Moria Corona Awareness Team" erklärt den Bewohnerinnen und Bewohnern des Camps das Virus, wie man sich davor schützt und wohin man sich bei einem Infektionsverdacht wenden kann. "Es ist aber wirklich schwer, die Ausbreitung in dem Lager zu bremsen", sagt Alizade. "Die Menschen kommen sich hier sehr nahe. Tausende stehen mindestens zweimal am Tag für Nahrungsmittel an."

In einem eigens eingerichteten mobilen Labor, das von der Weltgesundheitsorganisation unterstützt wird, können aber direkt Proben auf das Coronavirus getestet werden. Außerdem gibt es einen eigenen Isolationsbereich in dem Lager. Die eingeführten Ausgangssperren machen das Leben im Camp aber noch schwerer. So darf täglich nur eine stark begrenzte Zahl an Personen das Gelände verlassen, um zum nächsten Supermarkt oder zu einem Asylinterview zu gehen.

Recycling als erste Initiative

Für die Menschen im Lager braucht es aber langfristige Lösungen, sagt Dox. Sie berichtet, dass viele Bewohnerinnen und Bewohner gerne mitanpacken und helfen: "Die Leute sind heilfroh, wenn sie etwas zu tun haben. Es herrscht Perspektivlosigkeit." Auch Alizade bestätigt das: Erst vor kurzem hat er mit seinem Team und den "Moria White Helmets", die ein Freund von ihm im Camp gegründet hat, eine Recyclingstation für Plastikflaschen eröffnet: "Die Menschen bringen ihre leeren Flaschen und erhalten dann einen Gutschein für ein Geschenk", erzählt der 30-Jährige. Solche Geschenke können Saftpackungen, kaltes Wasser oder Ausbildungsunterlagen sein.

Alizade ist es wichtig, den Ruf der Flüchtlinge und Migranten zu verbessern: "Wir können und wollen unserer Beitrag leisten." Kritik äußert er an zu vielen ausländischen Hilfsorganisationen, die etwa Müll im Lager aufsammeln und so Bilder von faulen Campbewohnern transportieren: "Das können wir selbst."

Elektrizität und Heizsysteme

Auch Dox spricht die große Anzahl von NGOs vor Ort an. Durch die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 seien viele kleine Organisationen entstanden, was zwar eine Chance für Kooperation ist, aber unüblich, wenn man es global betrachtet: "Normalerweise gibt es pro Aufgabenbereich einen Akteur in einem Flüchtlingslager, etwa was Sanitäranlagen betrifft. In Kara Tepe sind es fünf bis zehn."

In den kommenden Tagen arbeiten die Helfer vor allem unter Hochdruck daran, das Lager winterfest zu machen: die Zelte mit besseren Böden auszustatten, dickere Decken zu verteilen, Elektrizität und Heizsysteme zu installieren. Prinzipiell werden alle Einrichtungen so modular wie möglich geplant, erzählt Dox. Denn noch steht nicht fest, ob das neue Lager überhaupt an dem Ort bleibt. (Bianca Blei, 19.11.2020)