Christoph Rademacher forscht an neuen Therapien durch den gezielten Wirkstofftransport an Zellen des Immunsystems.

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Die Lungenerkrankung Covid-19 hat die Welt fest im Griff und bestimmt unseren Alltag – noch dazu trat am Dienstag in Österreich ein harter Lockdown in Kraft. Mit über 54 Millionen Infizierten weltweit gehört diese Pandemie durch ihre rasante Ausbreitung und die gesundheitlichen wie auch wirtschaftlichen Schäden zu den schlimmsten der Geschichte. Diese Trägheit, auf neue Erreger reagieren zu können, offenbart die Lücken im System; einem System, in dem Investitionen in die Infektionsforschung als nicht rentabel eingestuft wurden und viele Pharmafirmen ihre Forschungseinheiten geschlossen haben. In diese Historie lässt sich die Impfstoffentwicklung ebenfalls einordnen – auch hier lassen sich neue Medikamente nicht in kurzer Zeit entwickeln.

Schnellere Entwicklung, kostengünstige Skalierung der Produktion und angepasste Zulassungsprozesse – so wie es im Falle von Covid-19 auch gerade geschieht – sind notwendig.

200 Forschungsprojekte, ein Ziel: Den Erreger dem Immunsystem vorab mitteilen

In über 200 Forschungsvorhaben weltweit werden gegenwärtig verschiedene Impfstoffkandidaten untersucht. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Ansätze: Abgeschwächte Viren oder genetisch veränderte Erreger finden ihren Einsatz, sowie Impfstoffe, die nur definierte Bruchteile des [CR1]-Virus verwenden, werden erforscht. Alle folgen dem gleichen Prinzip: Dem menschlichen Immunsystem muss der zu erwartende Erreger mitgeteilt werden. Die Geschwindigkeit der Forschung ist erstaunlich – ganz besonders für die Entwicklung von Impfstoffen, die sonst zehn bis 15 Jahre dauern würde, um ausreichende Sicherheit und Wirksamkeit für die Zulassung zu generieren. Von der Grundlagenforschung, den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, den behandelnden Ärzten, den Zulassungsbehörden bis hin zur Politik versuchen alle, den Kompromiss zwischen Sicherheit der Anwendung und einem ausreichenden Impfschutz zu finden.

Zugangscode zum Immunsystem macht Impfung über die Haut möglich

Im September dieses Jahres haben mein Team und ich an der Uni Wien und den Max Perutz Labs unsere Forschung begonnen und leisten einen kleinen Beitrag zu diesem Puzzle. Mein Team sucht nach neuen Wegen, Impfstoffe in den Körper zu bringen und sie damit effizienter zu machen. Wir können auf unserem Weg auf sehr viel Wissen über das Immunsystem zurückgreifen, das besonders in den letzten zwanzig Jahren gewonnen wurde. Dies hat uns ermöglicht, eine Technologie zu entwickeln, mit der man gezielt Medikamente zu bestimmten Immunzellen der Haut bringen kann. Bei diesen Immunzellen handelt es sich um die sogenannten Langerhans-Zellen, eine kleine Population von Zellen, die sich in der obersten Hautschicht befindet und dort eindringende Erreger abfängt. Die Langerhans-Zellen erkennen diese Eindringlinge unter anderem anhand ihrer Oberfläche, wo eine dichte Schicht aus Zuckern, die jede Zelle wie ein Pelz umgibt, als eine Art Zugangscode fungiert. Wird ein Erreger nun als Feind erkannt, alarmieren die Langerhans-Zellen das gesamte Immunsystem und sorgen damit für einen idealerweise langanhaltenden Schutz des Körpers. Wir haben die Erkennung dieser Zuckermoleküle durch die Immunzellen bzw. deren Rezeptoren studiert und mit künstlichen Bausteinen nachgebaut.

Wie der Impfstoff exakt dorthin kommt, wo er wirkt

Mit diesem gefälschten Zugangscode ausgestattet werden Medikamente nur noch genau in diese Langerhans-Zellen gebracht. Andere Zellen sind dann nicht mehr eingebunden. Damit geht auch wesentlich weniger Impfstoff an Zellen verloren, die damit gar nicht arbeiten können. Mit dieser gezielten Auslieferung machen wir uns die natürliche Funktion der Langerhans-Zellen zunutze und liefern ihnen zum Beispiel Teile eines Virus, gegen die dann das Immunsystem scharf gemacht werden könnte. Konkret informieren wir das Immunsystem darüber, wie die Andockstellen eines Virus aussehen. Der Körper produziert dann Antikörper, die diese Andockstellen blockieren, sodass sich das Virus nicht mehr ausbreiten kann. Ausgestattet mit diesem Vorwissen hätte es ein Erreger also schwerer, in den Körper einzudringen. Das Produkt, bestehend aus unserem Zugangscode und dem Baustein des Virus, wäre dann ein Impfstoff.

Neue Methode ist effizienter – mehr Menschen könnten geimpft werden

Neben dieser gezielten Auslieferung des Impfstoffs an genau die Immunzellen in der Haut, die eine antivirale Antwort natürlich koordinieren, sehen wir aber noch weitere Vorteile unserer Technik. Auch die Wege, die ein Impfstoff in der einzelnen Zelle zurücklegt, um dort richtig verdaut und damit richtig an andere Zellen des Immunsystems präsentiert zu werden, spielt eine entscheidende Rolle. Die von uns angesteuerte Andockstelle, ein Rezeptor, der Zucker der Erreger erkennt, ist genau für die Beschleunigung gemacht. Hier weisen unsere Ergebnisse bisher darauf hin, dass eine deutliche Effizienzsteigerung erreicht werden kann. Das heißt, mit der gleichen Menge Impfstoff könnten mehr Menschen geimpft werden.

Impfen über ein Pflaster – ohne Nadeln

Schließlich bietet auch die Lage der Langerhans-Zellen in der obersten Hautschicht einen Vorteil: Die Zellen sind leicht zu erreichen. So könnte in Zukunft ein Pflaster, für wenige Stunden auf die Haut aufgebracht, für eine Immunisierung ausreichend sein. Wir wissen, dass wir damit sehr viel erreichen können, und arbeiten daher mit Hochdruck an der Umsetzung dieser Vision.

Kommt dieser Ansatz nicht zu spät?

Viele Firmen sind bereits in der klinischen Phase III der Impfstoffentwicklung – Biontech und Pfizer arbeiten gar schon an der Zulassung. Kommen wir damit nicht zu spät? Ja. Das hoffen wir sogar. Denn das bedeutet, dass jemand anderes früh eine Lösung gefunden hat. Und nein: Unser Verfahren ist mit vielen der gängigen Impfstoffansätze kompatibel. Eine Effizienzsteigerung könnte auch durch späteres Hinzufügen unserer Technologie in bereits bestehende Impfstoffe erreicht werden. (Christoph Rademacher, 17.11.2020)