Eine Woche nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien schnürt die Bundesregierung nun ein umfassendes Antiterrorpaket, das auf Gefährder und den politischen Islam abzielt.

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Gleich fünf Regierungsmitglieder der türkis-grünen Koalition traten eine gute Woche nach dem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt am Mittwoch nach dem Ministerrat an, um ihr soeben geschnürtes Antiterrorpaket zu präsentieren – es zielt auf Extremisten aller Art ab, aber allen voran auf islamistische Gefährder. Die Vielzahl an Maßnahmen soll schon bis Anfang Dezember ausgearbeitet werden. Die aufsehenerregendsten Punkte darunter: eine vorbeugende elektronische Überwachung entlassener Gefährder und die Unterbringung weiterhin gefährlicher terroristischer Straftäter im Maßnahmenvollzug. Dazu soll mit einem Straftatbestand gegen die Verbreitung des politischen Islam nachgeschärft werden und eine eigene Staatsanwaltschaft für Terrorfälle eingerichtet werden.

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) rechnete vor, dass es in Österreich rund 300 vormalige Foreign Fighters gebe, also Islamisten, die sich von hierzulande aus in ein Kriegsgebiet aufmachen wollten – in den Jihad nach Syrien, in den Irak oder andere Staaten –, um dort zu kämpfen, vergewaltigen und morden. Ein Teil der Jihadisten sei bekanntlich abgestoppt worden, weitere seien bei Kämpfen umgekommen, ein Gutteil davon sitze aber nun hinter Gittern, und eine nicht unbeträchtliche Anzahl befinde sich nach Verbüßen der Haftstrafen auf freiem Fuß. Der Kanzler sprach in diesem Zusammenhang von "tickenden Zeitbomben".

Zu dem Vorhaben, dass Personen, die sich an terroristischen Vereinigungen beteiligen, künftig im Maßnahmenvollzug untergebracht werden sollen, also wie geistig abnorme oder höchst rückfallgefährdete Rechtsbrecher, erklärte Kurz, dass dies für die Dauer gelten solle, solange diese Täter "nicht deradikalisiert sind".

Auch Neonazis im Visier

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) betonte, dass es Extremisten darum ginge, das Land "zu spalten und zu destabilisieren" – was ihnen aber nicht gelingen werde. Daher wende sich das Terrorpaket auch gegen Neonazis, denn diese hätten mit radikalen Islamisten "mehr gemeinsam, als man glaubt".

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kündigte eine Neuaufstellung für den Verfassungsschutz an, inklusive mehr Personal und Ressourcen – und er hielt fest: "Der Terror kennt keine Farbe, keine Seite und auch keine Religion."

Nehammer betonte in der ZiB2, dass es nun gelte, in der Terrorismusbekämpfung "europäisches Niveau" zu erreichen. Berichte, dass die Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes die Untersuchungskommission, die er und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) zusammengestellt haben, wollte er nicht bestätigen. Die Kommission wird am Donnerstag präsentiert.

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Einen Rücktritt infolge der Ermittlungspannen im Vorfeld des Anschlag schloss Nehammer aus: "Mein Verständnis von politischer Verantwortung ist nicht, dann, wenn es schwierig ist und besonders fordernd, davonzulaufen."

Zadić per Video

Zadić, derzeit wegen Corona in freiwilliger Selbstisolation, wurde per Video zugeschaltet: Sie versprach, dass die Regierung alles tun werde, um einen Anschlag wie am 2. November in Wien künftig zu verhindern. Wie bei häuslicher Gewalt solle es künftig Fallkonferenzen, also von Behörden und Betreuern, zu einzelnen Gefährdern geben, die Akteure gegen den Terror sollten miteinander besser vernetzt werden. Für die Opfer des Anschlags in Wien und deren Angehörige werde es einen Fonds zu deren Betreuung geben – ebenso wie für andere Betroffene von Extremismus.

Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) ließ damit aufhorchen, dass es ein strafrechtlich relevantes Verbot des politischen Islam in Österreich geben werde, bei dem das höchstmögliche Strafausmaß – gemeint war offenbar lebenslänglich – ausgeschöpft werden könne. Wie dieses Verbot juristisch wasserdicht ausgestaltet werden könne, sodass davon nicht die Grundrechte beeinträchtigt werden, konnte sie noch nicht näher präzisieren. In ihrem Ressort wird derzeit ebenfalls eine Erweiterung des Verbots für islamistische Symbole ausgearbeitet, nachgeschärft wird auch bei der Auflösung extremistischer Vereine. Dazu ist eine Meldestelle eigens für Cyberjihadismus geplant, um gewaltverherrlichende Inhalte im Netz besser verfolgen zu können.

Überwachung steht an

Massive Freiheitseinschränkungen soll es für bereits verurteilte Terroristen geben. Wie erwähnt, steht eine Erweiterung des Maßnahmenvollzugs auf dem Programm. Wenn sich die Regierung auf eine Erweiterung der bereits bestehenden Gesetze im Maßnahmenvollzug beschränkt, wäre eine Umsetzung wohl verfassungsrechtlich möglich, sagen die Verfassungsexperten Bernd-Christian Funk und Ralph Janik, die dem STANDARD eine erste schnelle Einschätzung gegeben haben.

Fragen stellen sich allerdings nach der Kapazität im Maßnahmenvollzug, der seit Jahren als unterdotiert gilt. Was Terrorverurteilten außerdem blüht: ein Entzug des Führerscheins sowie stärkere Auflagen, etwa Reisebeschränkungen oder ständige Meldegebote sowie bei erhöhter Gefährdungseinschätzung eine elektronische Fußfessel oder ein Armband zur ständigen Standortüberwachung.

Zu der Vielzahl an Maßnahmen, die von der Bundesregierung forciert werden, könnten auf EU-Ebene weitere hinzukommen. Schon länger fordern Sicherheitsbehörden den Zugriff auf jene Nachrichten, die via Whatsapp und andere Messenger verschickt werden. Da diese über eine starke Verschlüsselung verfügen, ist ein Abhören derzeit kaum möglich. Die Überwachung von Messengern stand am Dienstag bei den Antiterrorgesprächen zwischen Kanzler Kurz, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf der Agenda.

Kampf um Verschlüsselung

Dazu passt, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft entsprechende Überlegungen schon länger wälzt und einen Vorschlag zur Hand hat. Whatsapp und andere Firmen sollen demnach einen Generalschlüssel zur Überwachbarkeit verschlüsselter Chats und Messages bereitstellen.

De facto käme das fast einer Aufhebung der Verschlüsselung gleich, zumal sich jeder, der dieses Generalschlüssels habhaft wird, Zugriff auf die Kommunikation der Nutzer verschaffen könnte. Kritiker befürchten, dass solche Regelungen Hackern und autoritären Regierungen den Zugriff auf Daten erleichtern würden. In Österreich haben sich SPÖ, Neos und FPÖ vehement dagegen ausgesprochen.

Schon bald soll ein weiteres umstrittenes Gesetz verabschiedet werden, kündigte Macron an. Vorgesehen ist, dass Onlinebeiträge, die einen terroristischen Zweck verfolgen, innerhalb von einer Stunde entfernt werden müssen. Das stößt im EU-Parlament auf Gegenwind: Es könnte dazu führen, dass automatisierte Löschmechanismen (Uploadfilter) zum Einsatz kommen – was auch die Sperre von journalistischen Inhalten zur Folge haben könnte. In der Kritik steht, dass auch ausländische EU-Löschbehörden eine Entfernung erzwingen können, also etwa ungarische Behörden in Österreich.

Für Feuergefecht vorbereitet

Noch am Mittwoch wurde bekannt, dass der 20-jährige Attentäter seine Wohnung für ein Feuergefecht mit der Polizei vorbereitet hatte. In seiner Wohnung in der Wagramer Straße, die wenige Stunden nach dem Anschlag im Zuge einer Hausdurchsuchung aufgebrochen wurde, waren Möbel zusammengestellt und zu einer Deckung aufgebaut worden. Das könnte darauf hindeuten, dass der 20-Jährige entweder für den Fall gewappnet sein wollte, dass die Polizei von seinen mörderischen Absichten vor deren Umsetzung Kenntnis erlangt. Oder er ging davon aus, dass er den Anschlag überleben würde. Die als mögliche Mitwisser beziehungsweise Mittäter festgenommen Bekannten des Attentäters bestreiten unterdessen die gegen sie gerichteten Vorwürfe. (Muzayen Al-Youssef, Jan Michael Marchart, Markus Sulzbacher, Fabian Schmid, Nina Weißensteiner, red, 11.11.2020)